Wilhelm Meyer-Lübke an Hugo Schuchardt (34-07257)
an Hugo Schuchardt
12. 08. 1906
Deutsch
Schlagwörter: Romanische Sprachen
Baskisch
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Gipuzkoanisch - Gipuzkoa
Iberisch Istrien Baskenland Schuchardt, Hugo (1906) Meyer-Lübke, Wilhelm (1911–1920) Thomas, Antoine (1904) Darmesteter, Arsène/Hatzfeld, Adolphe (1890–1900) Wolf, Michaela (1993)
Zitiervorschlag: Wilhelm Meyer-Lübke an Hugo Schuchardt (34-07257). San Martino di Castrozza, 12. 08. 1906. Hrsg. von Magdalena Rattey (2022). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.9325, abgerufen am 31. 03. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.9325.
Hochgeehrter Hr. Hofrat!
Besten Dank auch für die Bleistiftnotiz.1 Wenn glandula zunächst dissimil. zu gandula, dann assimil. zu gangula wird, so scheint mir in beiden ein Vorgang vorzuliegen, der sich unabhängig im Südital. und im baskischem Munde vollziehen kann, so dass sogar das ‘vielleicht’ S. 18 2z.T. noch zuviel ist. Den Weg von *ebulicum zu yezgo3 finde ich nicht, an acte hatte ich vor Jahren gedacht; einfacher ist odecus (das die Glossare vielfach für ebulum bringen) + ebulum, dazu habe ich mir notiert Thomas N. Ess. 305, weis aber jetzt nicht, was Th. da sagt.4 – Müsste caucus im Rhônetal nicht ču oder tyu oder ähnlich lauten?5 – Ist cama richtig?6 Sonst erinnert camaño an bündn. kyamonna7 , dh. y- m > m-n assimilirt; was ist ñ? – Kann der Wechsel von [gar: o a]8 nicht ardea zu garza erklären? 9Garza von ardea zu trennen kann man sich [schöner] entschliessen, aber was ist g-? – Lapidium10 ist auch ins Serbokroat. und von da z.T. wieder ins Istr. gedrungen, hier und wn11 aber im Kulturkreis der ital. Halbinsel. Woher kommt das Wort ins Baskenland? – Dass Sie an den Zusammenhang von iberisch u. baskisch, der neulich als ein überwundener Standpunkt bezeichnet wurde, festhalten, ist mir eine grosse Beruhigung!12 – Ich bin hier ganz ohne Bücher, nur Dict. gén. II.13 , umso mehr freute mich Ihre reiche Gabe14 – daher ich auch hier ‘antwortbereit’ bin.
Mit ergebensten Grüssen
Ihr
Meyer-Lübke
San Martino di Castrozza.15
1 War das eine persönliche Notiz oder hat Schuchardt die Bleistiftnotiz zu einem Wort in der gesandten Publikation, wahrscheinlichBaskisch und Romanisch (Schuchardt 1906a), hinzugefügt?
2 Vgl. Schuchardt (1906a: 17f.): „Sodann scheint ng } nd einerseits durch ein folgendes l (r) begünstigt zu werden [...], anderseits durch ein vorhergehendes g. Beides ist auch dem Romanischen nicht fremd – es entspricht sogar dem bask.ginga ein älteres franz. guingue, dem ital. agghingare } agghindare „putzen“ am nächsten kommt – und beides findet sich hier in einem Worte das im Baskischen die gleiche Veränderung aufweist, sodaß diese vielleicht ins Vulgärlatein hinaufzurücken ist.“ Vgl. auch REW (1911) 3777 s.v. glandula ‚Halsdrüse’, ‚Halsstück des Schweines’.
3 Vgl. Schuchardt (1906a: 19).
4 Vgl. Thomas (1904: 309), Kapitel LXXX – Olegue : Mit einem Rückgriff auf Band III des Corpus Glossarum Latinarum (Sammlung botanischer Glossare) von Georg Goetz zählt Thomas unterschiedliche Formen für lat.ebulum (lt. Thomas ‚l’ièble’) auf und schlägt als Etymologie von educu und ebucone eine Zusammensetzung aus lat. ebulum und gall.odocos vor. Die Form educu würde span.yedgo, yezgo sowie auch port.engo erklären. Thomas’ Publikation wird als Referenz zu REW (1911) 6039 s.v. ŏdĕcus (gall.) ‚Attich’ angegeben. Interessanterweise findet sich der oben geäußerte Gedanke zur Entstehung von span. yezgo (aus ebulum + odecus) noch nicht in der ersten, sondern erst in der dritten Auflage des REW (1935b) 2821 s.v. ĕbŭlum.
5 Vgl. Schuchardt (1906a: 21).
6 Vgl. Schuchardt (1906a: 31): „g. [gipuzkoanisch] amaña ‚Hirtenlager’ } guienn. (Gir.) camagno ‚Fischerlager’ (cama+ capanna; vgl. l. hn. nn. kamantza, nn. kabantza ‚Hirtenlager’);“.
7 Vgl. REW (1911) 1566 s.v. canăba ‚Weinstube’ [...] abt.[abteisch] kyámena ‚Nebenzimmer’ [...].
8 Unsichere Lesart.
9 Vgl. Schuchardt (1906: 44), hier heißt es: „g. koartza } span. garza ‚Reiher’; was die Einschaltung des o veranlaßt hat, vermag ich nicht zu erkennen.“ Vgl. auch REW (1911) 619 s.v. ardea ‚Reiher’.
10 Vgl. REW (1935b) 4899 s.v. lapĭdius 1. ‚steinern’, 2. ‚steinernes Gefäß’, ‚Kessel’; Vgl. REW (1911) 4899 s.v. lapidium. Schuchardt (1906a: 45) führt an: lapiko, b.[iskayasch] ‚Topf’.
11 Abkürzung für wenn?
12 Es ist dies wohl als Antwort auf Schuchardt (1906a: 47) aufzufassen: „Übrigens, wie trotz der Schriftkenntnis ihrer iberischen Ahnen, die Basken das Wort für ‚schreiben’ von den Römern entnommen haben, so besitzen sie auch legere in der Gestalt von leatu, leitu [...].“ Die Hypothese einer baskisch-iberischen Verwandtschaft sollte ML, wie auch Schuchardt, bis zu seiner letzten baskologischen Schrift (1935a) vertreten.
13 Hatzfeld, A. & Darmesteter, A. & Thomas, A. 1895. Dictionnaire général de la langue Française du commencement du XVIIe siècle à nos jours. Tome 2. Paris: Ch. Delagrave.
14 ML hat wohl folgende Arbeit erhalten: Schuchardt, Hugo. 1906. Baskisch und Romanisch. Zu de Azkues baskischem Wörterbuch. I. Band. Beihefte zur ZrP 6. Halle: Niemeyer. [Archiv-/Breviernummer: 504].
15 In Wolf (1993: 273) steht San Marino, es ist aber eindeutig San Martino auf dem Poststempel zu lesen.