Wilhelm Meyer-Lübke an Hugo Schuchardt (21-07243)
an Hugo Schuchardt
18. 07. 1901
Deutsch
Schlagwörter: Kaiserliche Akademie der Wissenschaften (Wien) Universitätsbibliothek Graz Italienisch
Griechisch
Latein D´Ovidio, Francesco Ive, Antonio Graz Zürich Schuchardt, Hugo (1901) Meyer-Lübke, Wilhelm (1901) Paris, Gaston (1901) Wolf, Michaela (1993) Meyer-Lübke, Wilhelm (1901) Meyer-Lübke, Wilhelm (1920) Schuchardt, Hugo (1904) Hurch, Bernhard (2006) Ive, Antonio (1886) Meyer-Lübke, Wilhelm (1911–1920)
Zitiervorschlag: Wilhelm Meyer-Lübke an Hugo Schuchardt (21-07243). Schönwald im Schwarzwald, 18. 07. 1901. Hrsg. von Magdalena Rattey (2022). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.9312, abgerufen am 01. 12. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.9312.
Hochgeehrter Herr Hofrat!
Fegato: συ̣κωτόν dürfte ich im winter 99/00 zum ersten mal ausgesprochen haben;1 den artikel2 habe ich jan/febr 00 geschrieben, am 10 III 00 der akad. eingereicht (u. Anzeiger). G P.3 schrieb mir im febr. 01, er habe einen artikel4 über den gegenstand mit ähnlichem ergebnis vor ‚längerer zeit’ an die redakt. des ascolialbums abgeschickt.+ – Bei D’Ovidio (den ich zu grüssen bitte)5 haben Sie wol in meiner ‘einführung’6 meine auffassung von uovo u. a. gesehen.7 Das Ihnen bestimmte exemplar des buches dürfte in Graz liegen.8 – +Vegl9fekuát giebt Ive10 so an, mit bezug auf die nordsard. formen irrt aber P.11 – Ich habe einen ruf nach Zürich, den ich wol werde annehmen müssen, da der minister mit den 600 gulden antizipirter [#] (ersatz für Gratz!) seiner wertschätzung unseres faches in meiner persönlichkeit scheint genüge geleistet zu haben.12 Wenigstens war das der eindruck, den ich auf die züricher anfrage hin aus meiner langen unterredung mit [#] 13davon trug. In wenigen tagen werde ich ja die offizielle berufung in den händen haben und dann sehen, ob wirklich nicht mehr zu machen ist.
Mit ergebensten gruessen Ihr
W. Meyer-Lübke
Schönwald (Baden)14
1 Dieses Schreiben ist eine Reaktion auf Schuchardts Artikel Ficătum, fecătum } ficŏtum + hepăte? in der ZrP (1901b). Wie aus deren Inhaltsverzeichnis hervorgeht, schickte S. den genannten Artikel am 15. Juli 1901 ein. Zu Beginn desselben heißt es: „[...] er [Gaston Paris] hat συκωτόν als Ausgangspunkt festgestellt. Dieselbe Entdeckung war zu gleicher Zeit von Meyer-Lübke gemacht und kurz vorher, ohne weitere Ausführung, veröffentlicht worden.“
2 Meyer-Lübke (1901a), vgl. FN zu 13-07236 in der vorl. Korr. Auf S. 49 geht es um die Aussprache von ital.fégato; griech.συϰωτὸν ἧπαρ > lat.ficatum jécur.
3 Gaston Paris, mit welchem Schuchardt ebenfalls in brieflichem Kontakt stand (vgl. Briefe Paris’ 08562-08659 an Schuchardt; die Korrespondenz ist in Bearbeitung).
4 Paris, Gaston. 1901. Ficatum en roman. Miscellanea linguistica in onore di Graziadio Ascoli: 41-63.
5 1901 verbrachte Schuchardt sieben Monate in Süditalien (vgl. Wolf 1993: XVIII, 632). Die vorliegende Karte ging nach Sant’ Agata (sui Due Golfi) nahe Sorrento.
6 Meyer-Lübke, Wilhelm. 1901. Einführung in das Studium der romanischen Sprachwissenschaft. Erste Auflage. Heidelberg: Winter. (= Meyer-Lübke 1901b).
7 Es ist anzunehmen, dass ML hier auf jene Stelle in seiner Einführung (1901b: 108, § 92) Bezug nimmt, worin er die Entwicklung von ital. uovo aus lat. ŏvum (basierend auf der Annahme, dass kurze lateinische Vokale zu geschlossenen romanischen Vokalen geworden sind) annimmt. Jedoch, so ML, müsse man sich davor „hüten“, denn durch Rückschluss aus dem Romanischen sei nur das ǫvum („da wir vom Romanischen aus nur bis ǫvum gelangen“) gesichert, welches sich aus ōvum (> uovo) hätte bilden können. Diese Ansicht vertritt er auch noch in der dritten Auflage seiner Einführung (vgl. Meyer-Lübke 1920b: 146, § 121). Dass Schuchardt in Bezug auf die Etymologie von ital. uovo und die Lautgesetze nicht mit ML einverstanden war, äußerte er nicht nur in Schuchardt (1904), sondern auch Spitzer gegenüber in einem Brief vom 5. Mai 1924 (vgl. Hurch (Hg.) 2006).
8 Im Nominalkatalog der UB Graz findet sich ein „Hinweiszettel“ mit der Signatur I 101.692 für MLs Einführung in das Studium der romanischen Sprachwissenschaft (1901), aber ohne Exlibris Schuchardts.
9 Das Zeichen + signalisiert den Rückgriff auf das vorher bereits Angesprochene.
10 Ive (1886: 150) gibt fecuát an. Vgl. FN zu 10-07233 in der vorliegenden Korrespondenz.
11 Vgl. Paris (1901: 42): gallur. figgátu. Vgl. REW (1911) 8494 s.v. sykoton (griech.) ‚Leber’; (Dort verweist ML auf Paris’ Mélanges linguistiques (1909) ).
12 Wie im nachfolgenden Schreiben ( 22-07244) angekündigt, wird ML in Wien bleiben. Vgl. hierzu den Brief Meringers an Schuchardt vom 6. August 1901 (09-07045, ed. in Schwägerl-Melchior 2017a ): Meringer spricht sich erleichtert über MLs Verbleib in Wien aus und erwähnt die Intervention vonseiten des (Unterrichts-?)Ministers: „Da schritt aber Gottlob der Minister ein u. verhinderte M-L etwas zu thun, was man wohl nur bei näherer Bekanntschaft mit ihm hätte begreifen können.“
13 Dieser Personenname konnte nicht gelesen werden.
14 ML hatte auf diese Postkarte Schuchardts Adresse in Napoli (Hôtel de Londres) geschrieben. Sie wurde umgeändert in Pension Brandmeyer St. Agatha presso Sorrento. Dort verbrachte Schuchardt den Juli und August des Jahres 1901 (vgl. Wolf 1993: 632).