Wilhelm Meyer-Lübke an Hugo Schuchardt (17-07226)

von Wilhelm Meyer-Lübke

an Hugo Schuchardt

Wien

29. 01. 1901

language Deutsch

Schlagwörter: Universität Prag Literaturblatt für germanische und romanische Philologie Gröber, Gustav Graz Österreich Wolf, Michaela (1993) Meyer-Lübke, Wilhelm (1901) Schuchardt, Hugo (1899)

Zitiervorschlag: Wilhelm Meyer-Lübke an Hugo Schuchardt (17-07226). Wien, 29. 01. 1901. Hrsg. von Magdalena Rattey (2022). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.9308, abgerufen am 24. 09. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.9308.


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Wien 29 I 19011

Hochgeehrter Herr Hofrat!

Eine äusserung Gröbers veranlasst mich, nochmal auch Ihnen gegenüber auf meinen wunsch nach Graz zu gehen, zurück zu kommen. Gr schreibt mir, Sie hätten ihm davon berichtet mit dem zusatze, dass ich ‘vermutlich in G doch nicht angenommen hätte’.2

Ich weiss nicht, wodurch ich den eindruck eines fl[#] mache, ich kann nur wiederholen, wie ich es mündlich und schriftlich oft genug und zu vielen leuten gesagt habe, dass ich ohne weiteres und gerne dem rufe folge geleistet hätte, da ich die ziele, die ich verfolge, in Gr. viel leichter erreichen kann als in Wien und addrerseits [sic] in Wien sehr vieles dazu angetan ist mir den aufenthalt unangenehm zu machen.

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Ich bedaure jetzt allerdings, dass ich auf die erste anfrage M.’s3 nicht einfach nein gesagt habe. die art und weise, wie mein wunsch aufgenommen, behandelt und schliesslich erledigt worden ist und vor allem auch die zweifel an der wahrheit meiner äusserungen sind das kränkendste, was mir in Österreich geboten worden ist. – Dass ich Cornu die4 befreiung aus der für ihn so peinlichen lage in Graz von ganzem herzen gönne, ist selbstverständlich: man hätte sie ihm in einer ebenso sehr seinen wünschen entsprechenden weise schon früher mit Innsbruck geben können!

Im november habe ich an Neumann eine anzeige5 Ihres turbare-artikels 6geschickt, der wol im febr. oder märz erscheinen wird. Dass ich zustimme, wissen |3| Sie freilich schon längst. Zum ersten Teile (cochlea) habe ich in einigen punkten allerdings widersprechen müssen.

Mit hochachtungsvollem grusse

Ihr ergebenster

W. Meyer-Lübke


1 In Wolf (1993: 273) steht ein anderes Datum: 1890. Dieser Brief ist aber eindeutig mit 1901 zu datieren.

2 Gustav Gröber, wie aus einem Brief vom 20. Jänner 1901 (116-04116, ed. in Hausmann 2017a ) an Schuchardt hervorgeht, war offenbar gleicher Ansicht: „Bei Meyer-Lübke möchte mir auch die Annahme des Rufes zweifelhaft erscheinen, da Wien doch auf alle Fälle große Vorzüge für ihn als Docent wie als Privatmann hat.“ Für die Webedition der Briefe Gröbers (001-03999-157-04156) vgl. Hausmann (2017a). MLs Verhältnis zu Gröber beleuchtet er im nachfolgenden Schreiben (18-07240). Der erste Aufsatz „Gustav Gröber“ in der Germanisch Romanische[n] Monatsschrift Bd. 4 (1912) ist übrigens von ML verfasst.

3 Abkürzung für Meringers? Wollte Meringer, dass ML Schuchardt nachfolgt? Im Brief Meringers an Schuchardt vom 6. August 1901 (09-07045, ed. in Schwägerl-Melchior 2017a ) heißt es: „M-L. schreibt mir: ‚Nun müssen Sie mich aber doppelt warm in Ihr patriotisches Graz schicken; ich habe Zürich abgelehnt u. bleibe in Wien’.“ ML kommt auf die (angeblichen) Gründe seiner Ablehnung in einer Postkarte an Schuchardt (22-07244) noch zu sprechen. Als er jedoch noch in Erwägung zieht, nach Zürich zu gehen, schreibt er erbost an ihn (vgl. 21-07243): „[...] der minister mit den 600 gulden antizipirter [#] (ersatz für Gratz!) seiner wertschätzung unseres faches in meiner persönlichkeit scheint genüge geleistet zu haben“. Das Ende dieser Karte (21-07243) erweckt den Eindruck, ML habe seiner Einschätzung zufolge in Wien zu wenig verdient.

4 Julius Cornu (1849-1919) wurde 1901 Schuchardts Nachfolger in Graz. Davor war er lange Zeit Professor an der deutschen Karl-Ferdinands-Universität in Prag (vgl. Romanistenlexikon). Cornu und Schuchardt führten einen intensiven Briefwechsel miteinander; die Briefe Cornus 01710-01842 an Schuchardt liegen in dessen Nachlass.

5 Meyer-Lübke, Wilhelm. 1901. Schuchardt, H., Romanische Etymologieen II. Ltbl. f. germ. u. rom. Philol. 22 (3/4): 115–119. Vgl. 10-07233 in der vorliegenden Korrespondenz. Die Anzeige erschien in der März-April-Ausgabe des Ltbl. f. germ. u. rom. Philol.

6 Schuchardt (1899a).

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 07226)