Wilhelm Meyer-Lübke an Hugo Schuchardt (15-07238)

von Wilhelm Meyer-Lübke

an Hugo Schuchardt

Wien

19. 01. 1900

language Deutsch

Schlagwörter: Sprachwissenschaft Wörter und Sachen Förster, Wendelin Meyer-Lübke, Wilhelm (1911–1920) Schuchardt, Hugo (1911) Foerster, Wendelin (1914) Meyer-Lübke, Wilhelm (1890) Meyer-Lübke, Wilhelm (1920)

Zitiervorschlag: Wilhelm Meyer-Lübke an Hugo Schuchardt (15-07238). Wien, 19. 01. 1900. Hrsg. von Magdalena Rattey (2022). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.9306, abgerufen am 11. 12. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.9306.


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Hochgeehrter Herr Kollege!

Foersters sprachwissenschaftliche artikel versetzen mich nach form u. inhalt immer in einen gewissen zorn. Die souveräne missachtung dessen was andere geschrieben haben ohne dass er selber denn doch irgendwie voraus wäre u. der deutliche mangel an verständniss für sprachwissenschaft vertrage ich schwer. 1Namentlich seinen nd-aufsatz2 habe ich erst nach langer zeit ruhig lesen können. Seine erklärung (!) des gask. -t aus -l würde ich am liebsten als satire betrachten, wenn ich nicht allen grund zur annahme hätte, dass es ihm bitter ernst sei. 3– Mit vergnügen entnehme ich Ihrer karte, dass Sie doch der romanistik nicht untreu werden, wie Sie vor einiger zeit mal schrieben und mir auch zu pfingsten sagten: das dürfen Sie uns nicht antun, denn die rom sprachwissensch. bedarf Ihrer noch gar sehr. – [Wo] [lebt] Meringer 4? Hat er sich allmæhlig mit Graz abgefunden?

Mit hochachtungsvollem grusse Ihr ganz ergebener
W. M-L


1 In einem ähnlichen Ton übt Foerster Kritik an Meyer-Lübke (1911a) bzw. dem REW: „Beim ersten Blättern schon im neuen M.-L. macht man die befremdende Entdeckung, daß keiner der berühmten u. bekannten Hauptetymologen darin genannt wird, was ihm durch eine ingeniöse Zitirmethode gelungen ist, wodurch alle mit einem Schlag ausgemerzt u. so eigentlich für immer der Vergessenheit überliefert worden sind, was bereits, wie ich erfahre, von Schuchardt [= Schuchardt 1911b, Verf.] mit Recht gerügt worden ist.“ ( Foerster 1914: XV).

2 Foerster, Wendelin. 1898. Französische Etymologien. ZrP 23: 263-273.

3 Vgl. Foerster (1898: 265) (s. FN 334), worin dieser mit seiner Erklärung des Wandels von „ll in ld(t) oder d(t)l“ MLs Ausführungen (1890a: 447, § 529) in einer Fußnote bloßstellt.

4 Rudolf Meringer (1859-1931), der zuvor in Wien eine außerordentl. Professur für Vergleichende Grammatik der indogermanischen Sprache innehatte, trat 1899 in GrazGustav Meyers Nachfolge als ordentl. Prof. für Sanskrit und Vergleichende Sprachwissenschaft an. Die 1909 von Meringer gegründete Zeitschrift Wörter und Sachen wurde u. a. von ML mitherausgegeben. In einem Brief vom 4. April 1908 an Schuchardt ( 34-07070) möchte Meringer ihn zur Mitarbeit daran überreden und hebt dabei MLs Gefallen an der Idee einer solchen „schöne[n] culturwissenschaftliche[n] Zeitschrift“ hervor. Schuchardt sollte sich jedoch nicht beteiligen. Vgl. die Webedition der Briefe Meringers und die aufschlussreiche Einleitung dazu in Schwägerl-Melchior (2017a) , worin die Auseinandersetzungen zwischen den beiden anhand brieflicher Zeugnisse dargestellt sind. Die Widmung der dritten Auflage seiner Einführung (1920b) ist an Meringer gerichtet („Rudolf Meringer ein Freundesgruß in schwerster Zeit.“).

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 07238)