Wilhelm Meyer-Lübke an Hugo Schuchardt (03-07225)

von Wilhelm Meyer-Lübke

an Hugo Schuchardt

Zürich

26. 01. 1887

language Deutsch

Schlagwörter: Grundriss der romanischen Philologielanguage Englischlanguage Französisch Wolf, Michaela (1993) Schuchardt, Hugo (1886) Meyer-Lübke, Wilhelm (1886) Schuchardt, Hugo (1887) Meyer-Lübke, Wilhelm/Ovidio, Francesco d' (1888)

Zitiervorschlag: Wilhelm Meyer-Lübke an Hugo Schuchardt (03-07225). Zürich, 26. 01. 1887. Hrsg. von Magdalena Rattey (2022). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.9294, abgerufen am 28. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.9294.


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Zürich 26 I 871

Hochgeehrter Herr Professor!

Herzlichsten dank dafür dass Sie sich wieder für mich verwendeten.2 – Angelsächsisch habe ich seinerzeit sehr eifrig getrieben und mich im doctorexamen darin prüfen lassen; auch die übrigen agerm. dialekte ausser friesisch waren mir einigermassen vertraut, dagegen geht meine vertrautheit mit dem mittelengl. nicht über Wülkers lesebuch3 hinaus, und von meinen ags. kenntnissen ist mir auch schon manches abhanden gekommen.4

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Immerhin ist mir ja linguistische forschung ziemlich geläufig, und an gutem willen und arbeitskraft fehlt es mir ja auch nicht, so dass ich, wenn auch nicht schon in meinem ersten semester, mich wol getraute, ein linguistisches colleg über irgend ein stück engl. grammatik zu lesen. Dass ich die verbindung von engl. und franz.5 für verkehrt halte, tut nichts zur sache, im gegenteil werde ich, habe ich eine zeitlang beides vereinigt, um so sicherer dagegen auftreten können.

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Für Ihre recension von Ascoli’s letterar 6[sic] noch nachträglich meinen dank. Das verworrene problem der schwächung intervokalischer tenues hat auch mich bei ausarbeitung meiner ital. grammatik7 für Gröbers Grundriss (meine arbeit beginnt bei den tonlosen vokalen) beschäftigt; nach manchem tappen im finstern – ich war auch eine zeitlang auf die Ascolische erklärung gekommen8 – hoffe ich endlich das licht gefunden zu haben, das die sache aufhellt, namentlich den grund für giuoco fuoco - luogo…|4| Ob ich freilich auf der rechten fährte bin, mag ich jetzt noch nicht sagen.

Mit bestem gruss

Ihr ergebenster

W. Meyer


1 Neu datiert. In Wolf (1993: 273) steht: 24.01.1887.

2 Es ist unklar, worauf sich das bezieht.

3 Wülker, Richard Paul. 1874. Altenglisches Lesebuch: zum Gebrauche bei Vorlesungen und zum Selbstunterricht. 1. Halle a. S.: Niemeyer.

4 Es könnte sein, dass sich ML hier auf Schuchardts Rezension von Ascoli (s. u. FN 233) bezieht, für die er sich weiter unten im Brief bedankt. Allerdings würde dann die Platzierung dieses Passus’ unten besser passen.

5 In seiner Rezension zu Schuchardts Romanisches und Keltisches (1886) kommentiert ML das darin enthaltene Kapitel XVI. „Französisch und Englisch“. Er befürwortet die Forderung, diese beiden Sprachen in der Lehre voneinander zu trennen und sie separat zu unterrichten (Meyer-Lübke 1886b: 1606).

6 Schuchardt, Hugo. 1887. [Rez. von:] Due recenti lettere glottologiche e una poscritta nuova, di G. J. Ascoli. Estratto dal X volume dell’ “Archivio glottologico italiano”. Ltbl. f. germ. u. rom. Philol. 8: 12-26. [Archiv-/Breviernummer: 202].

7 D’Ovidio, Francesco & Meyer-Lübke, Wilhelm. 1888. Die italienische Sprache. Grundriss der romanischen Philologie 1: 489-560. Auch die Neubearbeitung dieses Beitrags (1905) erfolgte wieder in Zusammenarbeit mit D’Ovidio (vgl. 26-07248). MLs Teil der Arbeit beginnt auf S. 526: b. Die tonlosen Vokale.

8 Schuchardt (1887: 18ff.) geht auf Ascolis Erklärung des Wandels der intervokalischen t, c zu d,g ein. Ascoli zufolge sei dieser durch „die Einwirkung eines benachbarten a“ passiert. Statt einer „akustischen Einwirkung“, zieht Schuchardt eine physiologische vor. Vgl. auch Meyer-Lübke (1890b: 120f.) : In einer Fußnote skizziert er Ascolis Erklärung für die „Erweichung“ der intervokalischen Konsonanten. Er bemängelt, dass Ascoli nur das vorhergehende a berücksichtigt habe.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 07225)