Hugo Schuchardt Archiv

München, den 1. November 1913

Sehr geehrter Herr Hofrat und werter Gönner!

Schweigen ist nicht immer Gold; denn dies edle Metall ist immer unverantwortlich, jenes aber ist es, wenn es zu weit getrieben wird. Die einzige Entschuldigung ist die, ich wollte Ihnen meine Arbeit über das Zachurische mit meinem Brief schicken und das konnte ich erst nachdem ich meine Sachen aus Tiflis hatte; die sind grässlich lang auf dem Weg gewesen.

Damit Sie mir nicht allzu böse sind füge ich gleich hinzu, dass es mir gelungen ist diesen Sommer noch das Ubychische für die Wissenschaft zu retten. Ich war in Kleinasien, in der Nähe von Temid, in einer Gegend, die von Tscherkessen, Lazen, Georgiern und Ubychen bevölkert ist. Das U. wird kaum mehr gesprochen, die junge Generation lernt es schon nicht mehr und die Alten werden |2| immer weniger.

Aber ein pickfeines Ding, dieses Ubychische! Erklärt so Manches im Abchasischen u. wohl auch im Tscherkessischen. Ich bin schon an der Arbeit.

Mein Dienst gefällt mir ungemein. Man lernt so ungeheuer viel dabei. Mehr als bei der Pädagogie, die ich nun Jahre lang treiben musste, besser von der ich getrieben wurde.

Bitte lassen Sie bald von sich hören. Und noch eine grosse Bitte: lassen Sie mich in den Spalten der WZKM¹ in absehbarer Zeit lesen, was für Sünden ich die langen Jahre her begangen habe. ²

Mit den herzlichsten Grüssen

Ihr ergebener

A. Dirr

Grillparzerstr. 38/IV.