Adolf Dirr an Hugo Schuchardt (03-02349)

von Adolf Dirr

an Hugo Schuchardt

Temir

10. 06. 1903

language Deutsch

Schlagwörter: language Georgischlanguage Tabassaranischlanguage Russischlanguage Arabischlanguage Türkischlanguage Persisch Asbóth, Oszkar Wien München Seidel, August (1894)

Zitiervorschlag: Adolf Dirr an Hugo Schuchardt (03-02349). Temir, 10. 06. 1903. Hrsg. von Bernhard Hurch (2019). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.9177, abgerufen am 16. 04. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.9177.


|1|

Temir - Chan - Schura, den 10/23. 6. 03.

Sehr geehrter Herr!

Es freut mich ungemein dass Sie wieder an mich gedacht haben; ich glaubte schon Sie hätten über den Pharaonen ganz auf mich vergessen.

Herr Dr. Asbóth hat die Güte gehabt mir vorzuschlagen die Korrekturen der grusinischen Grammatik durchzulesen. Das ist recht nöthig, denn einmal drucken die Mechitharisten in Wien1 herzlich schlecht und dann sehen vier Auge mehr als zwei.

Das Brouillon der tabassaranischen Grammatik ist fertig; im Herbst will ich es rein schreiben und die Arbeit zuerst russisch im Sbornik veröffentlichen. Es ist eine äußerst verzwickte Sprache; dazu kommt noch dass die Leute herzlich schlecht sprechen und die allergröbsten Schnitzer hast in jedem Satze machen. Ein |2| einziges Beispiel wie es in dieser Sprache mitunter aussieht. Wie anderwärts wird auch im Tabassaranischen das Präsens oft für das Futur verwendet. Die Tabasseraner haben das umgekehrt und wenden nun auch das Futur für das Präsens und noch dazu das Präs. histor. an.

In zwei, drei Tagen reise ich ab. Zunächst nach Chodschal-Machi um meine hürkubinischen Texte in Ordnung zu bringen; dann nach Kumuk wo ich dasselbe für meine lakischen Text thun will. Von da nach Arči (Material sammeln); von da über Gurib, Hungaχ, Botliχ nach Andi wo ich weiter Andisch treiben will (angefangen habe ich schon hier). Von Andi aus reise ich die andische Koisu entlang. Über die weiteren Reisen werde ich Sie auf dem Laufenden erhalten.

Arabisch habe ich seinerzeit in München mit einem dort ansässigen Egypter getrieben. Im Übrigen hat das kleine Buch ja gar keine Bedeutung; es soll nur eine praktische Methode |3| sein, an der Hand [sic] welcher auch der Nichtkenner des Klassischen Arabisch sich etwas besser in das Vulgäridiom einarbeiten kann, als dies mit blossen Sprachführern geschehen kann. Seitdem ist ja Seidel’s Buch erschienen. 2

Meine Adresse bleibt vorläufig dieselbe, es wird mir alles nachgeschickt. Wenn Sie in Caucasicis besondere Desiderata haben, so bitte, theilen Sie mir sie mit. Wie steht es mit Ihren udischen Studien? Es war doch eine komische Idee von den Leuten hier, die Evangelien-Übersetzung zu veranstalten, wo doch echt udische Texte bedeutend lehrreicher wären und “echtes” Sprachgut geliefert hätten.

Mit den besten Grussen Ihr sehr ergebener
A. Dirr

P.S. Einige Hauptpunkte des Tabassaranischen. Starkes Streben nach Vokalharmonie; viel hurkanische |4|Entsprechungen. 3 Interessante Zischlaute, sw, zw, dzw, cw; nämlich mit einwärts gebogener Unterlippe gesprochenes š, ž, dž, č so dass diese Laute klingen als wäre ihnen ein f-Laut beigemischt (Ähnliches findet sich auch im Lakischen, Dialekt von Kumuch) Deklination umfasst über 30 Fälle, von denen die meisten örtliche Beziehungen ausdrücken. Konjugation ziemlich verwickelt; Formenreichtum, negative, interrogative und negativ-interr. Konjug. Motionselemente r und β (letzteres ist so weich gesprochenes b dass es fast wie v klingt) Viel türkisches, persisches und arabisches Lehngut. Ein Pronominalobjekt der 1. od. 2. Konjugation kann auch dem Verb suffigiert werden; dann fallen die Pronominal-Elemente zur Bezeichnung der hand. Person aus. Lokalpräfixe im Verb z.B. ildžiβ=juz oben kehren, kidžiβjuȝ an einer geneigten Fläche kehren, džiβjuȝ kehren; kaʻ es ist unten, kaʻ es ist an, ’al es ist auf, haʻ es ist dort etc. 2 Pronom der 1. Pers. Pl. von denen das eine die angeredete Person ausschließt. Das Subjekt des Verbs steht (je nach der Bedeutung desselben, d.h. des Verbs) im Nominativ, Instrum. oder Genitiv etc.


1 Mechitaristen sind eine armenisch-katholische Ordenskongregation, die 1711 von Mechitar von Sebaste in Konstantinopel gegründet wurde. Sie übersiedelte 1805 nach Wien (davor war sie in Modon, Venedig und Triest). 1811 gründeten die Mechitaristen eine Druckerei, die Bücher und Zeitschriften in armenischer und anderen orientalischen Sprachen druckte, was von großer Bedeutung für das Studium der orientalischen Sprachen war.

2 Gemeint ist vermutlich August Seidel (1894) Praktisches Handbuch der arabischen Umgangssprache ägyptischen Dialekts. Mit zahlreichen Übungsstücken und einem ausführlichen ägyptoarabisch-deutschen Wörterbuch. Berlin: Gergonne.

3 Hurkanisch

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 02349)