Theodor von Busse an Hugo Schuchardt (03-01477)

von Theodor von Busse

an Hugo Schuchardt

Vladivostok

17. 03. 1884

language Deutsch

Schlagwörter: language Chinese Pidgin Russianlanguage Pidgins (Russisch)language Chinesisch (Mandarin)language Russischlanguage Deutsch

Zitiervorschlag: Theodor von Busse an Hugo Schuchardt (03-01477). Vladivostok, 17. 03. 1884. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2022). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.9174, abgerufen am 28. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.9174.


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17/29 März 1884. Wladiwostock.

Hochgeehrter Herr Professor!

Verzeihen Sie mir gütigst, das ich so lange mein Versprechen Ihnen gegenüber nicht gehalten habe. Ich kann Sie versichern, das der Grund des Schweigens nicht Vergessenheit sondern Mangel an Zeit, der mich hinderte die nöthigen Materialien für das russisch-chinesische Jargon zu notieren, die Schuld trägt. Ich will jetzt das Wenige, was ich Ihnen mittheilen kann aufsetzen, nicht weil ich es für hinreichendes Material halte, sondern blos um Ihnen, hochgeehrter Herr, meinen guten Willen zu bezeugen.

Ich kenne blos das Pidgin, welches in der Nähe von Wladiwostock und längs der Grenze bis zum Hanka-See1 gesprochen wird. In anderen Punckten des Amurlandes ist die Mundart anders, weil dort Worte von Golden2 und anderen Tungusenstämmen vorkommmen, ich kann aber nichts darüber mittheilen, weil ich dort, in dieser Zeit, nicht gewesen und keine persönlichen Beziehungen dort habe.

Die Russen und, nach der Aussage sachkundiger Leute, auch die Chinesen haben ihre Grammatik auf eine Weise zu vereinfachen gesucht; ausserdem die Worte so verstümpelt, um vom fremden Volke verstanden zu werden, das die Gestaltung der Sprachen ganz ihre eigentliche Formen verloren haben. Die |2| Russen haben ganz die Declinationen und conjugationen aufgegeben; wie weit diese Formen bei den Chinesen zu Hause entwickelt sind, weis ich nicht und bitte Sie in entsprechenden Werken nachzuschlagen. Der besprochene Mangel ist durch Nichts, weder in Worten noch Form, ersetzt. Die Beziehungen der Begriffe unter einander werden blos aus dem allgemeinen Sinn des Gesprächs und noch mehr durch die Gestikulation erklärt. Daraus ersieht man wie arm das Jargon ist, und wie viel Zeit und Mühe man braucht, um irgend ein Begriff der einigermassen dem Ciclus der alltäglichen Verhältnisse überwachsen ist, zum bewusten Verständniss des andern, genügend zu erklären. Zur allgemeinen Charakteristick des Jargons muss ich noch zufügen, das die Russen sich mehr der chinesischen Sprache anbequemt haben, als es umgekehrt der Fall gewesen ist und schlieslich, das Leute die das Pidgin, welches in den von den Ausländern besuchten Häfen Chinas gesprochen wird, kennen, eine grosse Aehnligkeit in der Construction, zwischen diesem und jenem finden.

Alle Verba werden blos im Imperativ in zweiter Person gebraucht, die nähere Bezeichnung der Person wird durch die Bewegung des Zeigefingers bestimmt, indem man auf sich selbst, seinen Oponenten, oder zur Seite, in die Ferne, zeigt. Die Zeiten werden durch Handbewegung gegen den Boden |3| (pres.), vor (futur) und hinter (perf.) sich angegeben. Das Futurum wird meistens durch das russische Wort „budu“* werde (* Ich schreibe alle russischen Wörter in ihter transcription) bezeichnet

Bsp. Moja hodi budu } meine geh werde / „Ich werde kommen“

Das merkwürdigste aber ist die Anwendung des Infinitivs des Verbums sein, russisch „jesth“ (** Das t wird ganz weich ausgesprochen, woher in russischen Lettern das Wort есть geschrieben wird) chinesisch „ju“,3 was im Jargon bald dieses bald jenes beinahe nach jedem anderen Verbum gestellt und ausgesprochen wird. Diese Redeweise ist keiner der beiden Ursprachen eigen; wenn in der russischen das „sein“ oft vorausgesetzt, obgleich nicht geschrieben oder ausgesprochen wird, so geht der chinesischen auch diese Bedeutung des Verbums ganz ab. Somit ist der Ursprung des Gebrauches und die vorwiegende Wichtigkeit des verbums „sein“ in dem Jargon eine sehr interessante und dunckle Frage, die zu lösen ich nicht übernehmen kann.

Das Pronomen erscheint blos im Singular und mit der weiblichen Nominativ-Endung, wobei es immer die Angehörigkeit ausdrückd. Es giebt überhaupt ihrer nur zwei: „meine“ „Deine“ ausgesprochen „mojá“ „twojá“ (beide russisch). Das Ausschliesen, ausser der weiblichen Geschlechtsendung, aller übrigen der russischen Pronomina, wird durch die Schwierigkeit der Aussprache für den Chinesen bedingt.

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Bsp.

Mojátwojáhodíjésth}„Ich bin bei dir gewesen“ oder
meinedeinegehsein„Ich gehe zu dir“ oder „ich werde zu dir kommen“.

Die Substantiva und die Eigenschaftsnahmen kommen blos im Nominativ singularis vor, und da diese in der russischen Sprache oft mit einem harten Consonanten, welcher dem Chinesen unmöglich ist auszusprechen endigen, so wird als Endung ein zufällliger gesetzt, was zu der Meinung führen könnte das das Wort decliniert ist, dieses ist aber keineswegs der Fall, da, meistens, der zugesetzte Vocal den Declinations Formeln nicht entspricht. Der Plural wird einfach durch den Zusatz einer Zahl, oder dem russ. Worte „mnogo“ (viel) gebildet.

Bsp.

Mojamnógosómzakapitánahodíjésth
meinevielSonnecapitaingehsein
„Ich komme nach vielen Tagen zum capitain“ oder dasselbe in der Vergangenheit.

Bsp.

Twojátrísonzakupíjesth
Deine3Sonnekaufsein
„Du kaufst in 3 Tagen“, oder „Du hast vor 3 Tagen gekauft

NB Zu den 2 Beispielen ist zu erklären, das immer statt Tag das Wort Sonne gestellt wird und unter „capitain“ jede administrations Person gemeint ist.

Bsp.

kosáka (richtig kosák) = kosake} In allen 3 Worten end
kapitána ( “ kapitán) = capitain spricht die Endung
kupèzda (“ kupétz) = kaufmann dem Genitiv.

Die Potenzen der Eigenschaftsnahmen werden nicht durch ihnen speciell zukommenden Form, sondern durch Zusatz von Worten ausgedrückt. Comperativ bekommt man durch das Einfügen des Wortes „mnogo, mnogo“ (viel, viel), 4oder durch |5|Wiederholung des Eigenschaftwortes, oder auch durch den Ausruf „ó, ó“. Der Superlativ wird durch den Zusatz von „ schiboko“ (richtig russisch schibko)* [* Wörtlich würde es „rasch“ heisen, hier aber hat das Wort die Bedeutung „sehr viel“, ein Sinn der in der russ. Volkssprache geläufig ist].

Bsp. kapitána 2) kapitána bolschó bolschó, 3) kapitana schiboko bolschó. – Deutsch: Vorgesetzter 2) höherer Vorgesetzter, 3) höchster Vorgesetzter (z. B. general).

Bsp.

mojákupíchangáu (chines.)
meineKaufgut
2) mojákupímálomálo
meineKaufwenigwenig
schangáu3)mojákupíschíbocoschangáu
gut meine kaufsehr vielgut

Deutsch: ich habe gut gekauft, ich habe besser gekauft, ich habe am besten gekauft

Bsp.

húdorabótai,2)ó, ó,hudorabotai3)schibokohudorabotai
schlechtarbeite, ó, ó,schlechtarbeite sehr vielschlechtarbeite
Deutsch schlecht gearbeitet, etc.

Prepositionen sind ganz aus der Grammatik des Jargons gestrichen, von den übrigen Redetheilen sind die Interjectionen die wichtigsten, da sie allein den Mangel an Ausdrücken für Freude, Schmerz, Zweifel etc. ausfüllen.

Die russischen Worte erleiden noch eine Verstümmelung im Munde der Chinesen, die zwei nebeneinander stehende Consonaten nicht aussprechen können, und in solchen Fällen dieselben durch ein zufälligen Vocal trennen. Ausserdem haben die Chinesen kein r Laut, welcher durch l ersetzt wird.

Bsp. bumágkaxx (russ.) = bumágika (Jargon) = Papier (xx Das g wird wie das französische j ausgesprochen).

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Bsp.

schíbko (rus)= schíboko (jarg.)=sehr viel
reka (rus)=leka (jarg.)=Fluss

Ich behandele hier blos die russische Hälfte des Jargons, weil bei völliger Unkenntnis, ich Nichts über die chinesische sagen kann. Ich hoffe das dieser Mangel in Fülle, durch eine chinesische Grammatik in deutscher Sprache, ersetzt werden kann.

Zum Schluss führe ich einige Pfrasen aus dem Jargon an:

1)Ponimáinétacapitán,twojágowozimojßa
Verstehnicht capitain,deinesprichmeine
„Ich versteh nicht capitain, du erkläre mir“

2)Schímo (chin.)tzégo (rus.)?
diesewas
„Was heist das?“

3)Kupímadáma,prodowaimojáschangáu
kaufmadame,verkaufmeinegut
„Kaufen Sie madame, ich habe gute Waare“

4)Zyba*
(* Das russ. Wort Ryba)
schánschangáu,húdonétamojá
Fischsehrgut,schlechtnichtmeine
„Der Fisch ist sehr gut, ich habe keine schlechte Waare“

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Beispiele der chinesischen Werke im Jargon

schangáu = gut (wörtlich gut gut) 5

schán – schangáu = sehr gut

pú- schangáu = nicht gut, schlecht

dodòie (wenig gebraucht) = viel. – Eigentlich bedeutet jede Silbe do viel, die letzte Silbe die ist blos eine Endung

Ínsa = Geld, (eigendlich „silber“)

fánsa = Haus der originällen chines. Bauart

jú = sein, haben, (genauer das letzte)

rai jú = nicht haben

mánsa = Chinese (speziel für solche die auf russischen Boden wohnen)

Ich sehe ein, das der Inhalt des Briefes sehr mangelhaft sowohl an Inhalt, als besonders an Beispielen und anderem Material ist und doch mus ich mich erdreisten dieses Schreiben abzuschicken, denn bald fängt die Schiffahrt an, die Uebersiedler kommen und dann werde ich in Amtsgeschäften so viel zu thun haben, das ich nicht vor dem Winder an den Schreibtisch komme. Auf den Streifzügen durch das Land, werde ich meistens unter Russen sein und wenig Gelegenheit haben, Material bei den Chinesen zu sammeln, um das jetzt geschriebene zu ergänzen. |8| Das Jahr welches ich hier jetzt verlebt habe, hat mich gelehrt, das ich so viel wie Nichts auf dem mir fremden Gebiete der Sprachkunde thun kann wenn ich nicht die von mir selbst gewünschte Arbeiten aufgeben will, dacher habe ich mich um ein Stellvertreter, in dem Sammeln von Material für Sie, hochverehrter Herr Professor, umgesehen und bin von Herrn Woldemar Ruhberg 6bevollmächtigt Ihnen mitzutheilen das er schon jetzt anfangen wird Notiezen anzuhäufen, um den Anforderungen die Sie gütigst, wenn Sie meiner Recomendation Achtung schenken, in einem directen Brief an ihn, stellen werden. Die wenigen Brocken die ich sammeln kann, werde ich Ruhberg zustellen. Seine Adresse: Via Japan, Siberia Wladiwostok, Herrn W. Ruhberg7 contor Lindholm.8

In Hofnung auf Nachsicht zu dem unreifen Material, verbleibe ich hochachtungsvoll
Th. v. Busse


1 Der Chankasee ist einer der größten Seen in Asien. Er liegt im Grenzgebiet zwischen der heutigen Volksrepublik China und dem östlichen Sibirien.

2 Golden/Goldi, Fischhaut-Tataren oder Nanaier.

3 Das entsprechende Zeichen ist 有.

4 Im Original ist das „m“ überstrichen.

5 Am Randmit Bleistift, offenbar von Schuchardts Hand: „h’ān gut“.

6 Im HSA finden sich keine Briefe von ihm oder an ihn.- Mit dem vorliegenden Brief endet auch Busses Kontakt mit Schuchardt.

7 Keine näheren Angaben, doch gibt es mehrere Träger dieses Namens, die zu dieser Zeit in Rußland lebten.

8 Otto Wilhelm Lindholm (1832-1914), in Finnland geborener Deutschrusse (Walfänger und Kaufmann).

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 01477)