Theodor von Busse an Hugo Schuchardt (01-01475)

von Theodor von Busse

an Hugo Schuchardt

Unbekannt

13. 06. 1882

language Deutsch

Schlagwörter: language Deutschlanguage Chinesisch (Mandarin)

Zitiervorschlag: Theodor von Busse an Hugo Schuchardt (01-01475). Unbekannt, 13. 06. 1882. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2022). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.9172, abgerufen am 16. 04. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.9172.


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13/25 Juni 1882

Hochgeehrter Herr Professor!1

In dem Brief vom 13 Juni machen Sie mir den Vorschlag das Material zu Ihren wissenschaftlichen Arbeit, über das russisch-chinesische Jargon am Amur, zu sammeln und zu übersenden. Das von Ihnen aufgestellte Programm „einige allgemeine Angaben über die Ausdehnung, die Vergangenheit, die voraussichtliche Zukunft, die Nüancen und die Modificationen dieses Jargons, sodann Proben desselben im Zusammenhange“, hat sehr viele Schwierigkeiten, die ich auseinandersetzen will, ehe ich Ihnen etwas verspreche.

Ich habe mich lange in OST Sibirien aufgehalten und vielmal Gelegenheit gehabt die Grenz Sprache in Kjachta, Aigun (am Amur) 2und Süd Ussuri3 Gebiete practisch zu verwährten. Ich habe gefunden, daß die Modificationen des Jargons in den genannten 3 Gegenden vorzugsweise vollgenden Ursprungs sind. In diesen Redeweisen sind viele Wörter der am Orte lebenden, dort heimischen Völker Tungusischer und Mongolischer Abkumpft, aufgenommen. Auserdem |2| haben die Russen aus dem Volke, aus weiten Gegenden Sibiriens kommend, Wörter von Stämmen die weit von der chinesischen Grenze leben, in das Jargon eingeflochten in der Meinung, das alle Heiden wohl eine Sprache sprechen. Die Mandschuren und Chinesen ihrer seits, die Bedeutung des Wortes erratend, haben gemeint das dasselbe ein russisches ist. In Folge solcher Umstände sind in dem russisch-chinesischen Grenzjargon viele Wörter und Ausdrücke zu finden, die Volkern von ganz anderen Abstammungen gehören, und zwar in so verstellter Form, das es einer gründlichen Kenntniss der verschiedensten Sprachen bedarf, um die Wurzeln und somit die Zugehörigkeit des Wortes zu bestimmen und ohne solcher Kenntnisse ist es unbedingt unmöglich die Nüancen und Modificationen der localen Jargons verschiedener Orten auszuforchen.

Um die Ausdehnung und den Charakter der Jargons längs der Grenze zu bestimmen, muss man sich lange an verschidenen Orten an derselben aufhalten und viel Zeit haben, um mit Leuten aller Classen und Bescheftigung in Berührung zu kommen und das gehörte zu notiren und auszuarbeiten. Ob sich Leute finden, die sich Rechenschaft geben können wie sich das Jargon, von der Zeit seiner Entstehung an, geändert hat, und damit das Material geben zu Schlussen über die voraus- |3| sichtliche Ausbildung der Sprachen in der Zukunft ist sehr unwahrscheinlich.

Ich besitze gar keine Kenntnisse der asiatischen Sprachen, durch mein Amt an das Süd Ussuri Gebiet gebunden (Der Landstrich der sich zwischen dem Japanischen Meere, Korea und Mantschurei eingekeilt hat und dessen Nordgrenze durch den Hafen Olga und der Mündung des Sungatscha4 in den Ussuri 5, bestimmt wird) ist mir unmöglich Material an anderen Orten zu sammeln, ausserdem durch meine Obliegenheiten und sich selbst gestellte Aufgaben in dem Gebiete der Ethnographie und Sitten Rechtes der einheimischen Stämme, ist meine Zeit sehr verkürzt – in Folge aller dieser Umstände, kann ich, obgleich es mir sehr leid thut Ihren Wünschen nicht nachkommen zu können, die Ausführung der wichtigsten Puncte des aufgestellten Programms, nicht übernehmen.6

Was das Notiren der Proben des Jargons betrifft, so kann ich Ihnen nützlich sein, doch blos in dem Bereich des Süd Ussuri Gebietes und mit der Bedingung mich durch kein Termin der Ausführung zu binden. Ehe ich mich durch ein Versprechen verpflichte, mögte ich einige Erklärungen von Ihnen empfangen.

Aus Ihrem Briefe ist nicht zu bestimmen, ob das Object Ihres Studiums die grammaticalische Construction, oder die Laute der Sprache ist, bei der Wahl der Ausdrücke ist es aber sehr wichtig zu |4| wissen welche von den beiden Zweigen der Sprachlehre, für Sie die wichtigere ist, nur wenn ich den Zweck Ihrer Arbeit klar im Auge habe, kann ich das richtige Material sammeln. In dieser Hinsicht wäre es sehr wünschenswerth, das Sie mir die zum Druck bereitete Schrift, so wie sie veröfentlicht wird, zuschicken, bis dahin aber genaue Instruction geben.7

Was die Transcription der fremden und der russischen Wörter betrifft, so mus ich gestehen, das ich die in der Wissenschaft festgestellte Regeln nicht kenne. Dacher kann ich blos übernehmen die Wörter nach dem Gehör zu notieren und dieses, wie ich befürchte, wird in den asiatisten 8Worten sehr mangelhaft sein, da man blos bei nähern Kenntniss der Sprachen, die feinen Nüancen der Laute durchhören kann und das lateinische Alfabeth, in der Leseard9 der deutschen Sprache, nicht geeignet ist die letz[t]en genau auszudrücken.

Sollten Sie, hochgeehrter Herr Professor, die vorliegende Auseinandersetzung anerkennen und mich mit dem Notieren der Proben des Jargons beauftragen, so muss ich noch eine Frage anschliesen. In Ihrem geehrten Briefe verlangen Sie, ausser der Transcription der russischen Wörter, nach deren Erläuterungen. In welcher Art wünschen Sie diese |5| lezten, sollen sie sich blos auf die Form der Worte, oder deren Bedeutung im Gebiete der Volkssitte beziehen? Aus dem Umstande, das Sie blos die russischen Wörter erläutert haben wollen zu schliessen, sind Sie mit der chinesischen und Mantschurischen Sprache gut bekannt, doch glaube ich das Sie die Worte in der verstellten Form, in manchem Fall, gar nicht erkännen werden, und somit wäre es Ihnen wohl wünschenswerth Erläuterungen auch in diesem Material zu haben, doch kann ich solche blos in einzelnen Fällen geben und blos was die Sitte, welche die Worte ausdrücken, betrifft. Wie soll ich mich zu den Ausdrücken aus anderen Sprachen verhalten, wenn ich sie nicht mal vom chinesischen unterscheiden kann?

In der Hofnung bald die gebetenen Erklärungen zu erhalten, bitte ich Sie im Auge zu behalten, das ich bis zum 1/12 August in Petersburg bleibe und dieselbe Adresse behalte, nach dieser Frist, bitte ich die Briefe nach Wladiwostok „post restant“ zu adressieren.

In tiefer Hochachtung verbleibe ich Ihnen, hochgeehrter Herr Professor

ganz ergebenster

Th. v. Busse


1 Ortsangabe (wohl Petersburg) fehlt.

2 Der Ort ist unter verschiedenen Namen und Schreibungen bekannt und liegt heute am rechten Ufer des Heilong Jiang (Amur) in der nördlichen Mandschurei.

3 Der Ussuri ist ein rechter Nebenfluss des Amur in Russland und China.

4 Einziger Abfluss des Chankasees an dessen Nordostufer; bildet bis zu seiner Mündung in den Ussuri 450 km vor dessen Mündung in den Amur die Grenze zwischen Russland und der heutigen Volksrepublik China.

5 Ein rechter Nebenfluss des Amur (Heilong Jiang) in Russland und China.

6 Es wäre wichtig und interessant, diesen von Schuchardt vermutlich mehreren Gewährsleuten zugeschickt hat, zu kennen.

7 Die Schrift Schuchardts zu Maimatschin wird erst 1884 erscheinen (Brevier/HSA 173).

8 Gem. „asiatischen“.

9 Gem. „Lesart“.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 01475)