Lodvina Kremer von Auenrode an Hugo Schuchardt (25-05816)

von Lodvina Kremer von Auenrode

an Hugo Schuchardt

Prag

08. 02. 1880

language Deutsch

Schlagwörter: Meyer, Gustav Graz

Zitiervorschlag: Lodvina Kremer von Auenrode an Hugo Schuchardt (25-05816). Prag, 08. 02. 1880. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2021). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.9164, abgerufen am 26. 09. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.9164.


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Prag den 8. Feb. 80.

Lieber Freund!

Sie können sich denken wie empört man hier über die Vorgänge ist, welche Kelle’s1 nöthigten, die Verlobung aufzuheben. Sie ahnen nicht welche Gemeinheiten ans Tageslicht kamen und wenn Herr Prof. Meyer sagt: er wisse nicht was Kelles veranlaßt haben könne, so ist das einfach nicht wahr! 2Zuerst kam an Maria K. ein anonymer Brief worin gesagt wird |2| daß Herr M. sich auf dem Studentenball mit seiner Dame so schamlos sich benommen hätte, daß kein junges anstäntiges Mädchen mit ihm tanzen würde. Darauf wurde wieder anonym ein Brief geschickt, dem Prof. M. vom 30. Dez. von hier aus an* (* Wer könnte dieser Freund in Graz sein? Haben Sie eine Ahnung, dann sagen Sie es!) einen Freund nach Graz schrieb, worin er die unglaublichsten pöbelhaftesten Sachen über Kelle äußert und nun, nachdem hierauf Kelles die Verlobung verkündeten, kommt gestern ein Brief wieder von derselben anonymen Person, worin|3| sie sagt, man freue sich in Graz über die Entlobung und die Sache sei doch nur zum Theil wahr gewesen.

Was nun Kelle‘s über den Anonymus denken weiß ich nicht; ich will Ihnen meine Ansicht sagen. Ich glaube alle Briefe sind von Herrn M. und Frau K. selbst hierher geschickt worden um das Verhältniß unhaltbar zu machen. Nun wäre ja das Einfachste und einzig Würdige gewesen, er hätte ohne viele Gründe abgeschrieben – dazu fehlte ihm aber der Muth und der Anstand. Aufrichtig gesagt freut man sich hier allge- |4| mein, daß es so kommt und wir hätten nur gewünscht daß die beiden Leute sich gar nicht verlobt hätten, denn bei der Rücksichtslosigkeit und Taktlosigkeit besagten Herrn wäre die Ehe doch nie eine glückliche geworden und das Mädchen ist viel zu anständig für ihn. – Da haben Sie mein Bekenntniß. Nun wird Herr M. wohl nicht so bald nach Prag kommen, er dürfte allerseits sehr wenig liebenswürdig empfangen werden! Übrigens laden Sie Irene und deren Eltern ein, bald hieher zu kommen. –

Schreiben Sie mir bald einmal wieder und seien Sie heute 1000mal gegrüßt von meinem Mann Renerl und Ihrer
L. Kremer.


1 Johann von Kelle (1818-1909), deutsch-österr. Germanist, seit 1857 in Prag; vgl. HSA 05496.

2 Gustav Meyer wäre demnach kurze Zeit mit Kelles Tochter Marie (Maria) Anna verlobt gewesen, die später Valerian von Mikulicz-Radecki (1855-1910) ehelichte.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 05816)