Oszkar Asbóth an Hugo Schuchardt (07-182)
von Oszkar Asbóth
an Hugo Schuchardt
01. 01. 1903
Deutsch
Schlagwörter: Wiener Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes Deutsch
Tabassaranisch
Ungarisch Dirr, Adolf Adjarian, Hratchia Munkácsi, Bernhard Uslar, Petr Karlovich Graz Dirr, Adolf (1904) Schuchardt, Hugo (1904) Adjarian, Hratchia (1899) Uslar, Pëtr Karlovič (1862–1872) Schuchardt, Hugo (1895)
Zitiervorschlag: Oszkar Asbóth an Hugo Schuchardt (07-182). Budapest, 01. 01. 1903. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2022). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.9096, abgerufen am 06. 12. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.9096.
Budapest d. 1. Jan. 1903
Geehrter Herr Kollege!
Ich freue mich Sie endlich in der Nähe zu wissen, im Herbst rutsche ich vielleicht einmal nach Graz hinüber u. bespreche mit Ihnen Einiges. Über die Anzeige des Dirr’schen Buches 1möchte ich schon vorher Ihren Rat haben: wo glauben Sie, dass ich das Buch anzeigen könnte (ausser Nyelvek Közleményei)? Dies hängt in erster Linie davon ab, wo Sie etwas bekannt machen wollen (wohl in WZKM)2 , dann aber auch davon, wo Sie etwas bekannt machen wollen, dann aber auch davon, wo eine derartige Anzeige gern gesehen wird.
Ich habe viel an Sie gedacht, als ich die ersten Revisionsbogen dieser Grammatik erhielt V-XX + 1-73. Die Einleitung ist ganz abenteuerlich, er schreckt, von Ihnen ein recht drastisches Beispiel zu nehmen, nicht zurück deutsch Hals mit [georgisch] in Verbindung zu bringen. Aber das Tatsächliche, sich die Grammatik selbst – sowohl der theoretische als der praktische Teil – ist sehr hübsch, teilweise meisterhaft ausgeführt und man |2| darf schon jetzt sagen, dass es eine höchst gelungene Leistung werden wird. Nun habe ich die Sache so angefasst, dass ich im ersten langen Brief über die Einleitung, „als nicht eigentlich zur Grammatik gehörig“ mit vornehmem Stillschweigen hinübergegangen bin. Im 2ten Brief habe ich einige gewagte Erklärungen im Text (das Zeichen des Aktivs [georgisch] aus [georgisch] „da, dort“ u. ä.) als schädlich für den Ruf der Grammatik bezeichnet, erst im dritten Brief (die Briefe folgten sich Tag f. Tag) als ich zum Schlusse des Ganzen gelangt war, riet ich ihm die Einleitung – zu streichen. Sie verstehen wohl, l. Herr Kollege, dass ich Herrn Dirr zuerst von meiner aufrichtigsten Teilnahme an seiner Grammatik überzeugen wollte u. dass ich in der allerschoensten Weise die Sache nahegelegt habe. Nun wollen wir sehen, was er tut; hat er die Selbstüberwindung, so verspricht dies auch für d. Zukunft viel Gutes; denn unsere Verbindungen sind schon jetzt sehr lebhafte und ich betone in jedem Brief an ihn, dass ich schon bis jetzt viel von ihm gelernt habe. |3| Einen Passus aus der Vorrede möchte ich Ihnen aber doch jetzt mitteilen, es ist der einzige, der mich wirklich interessiert hat, ja beinahe verblüfft hat: „Das Vedische, meint D., kennen wir nur aus der sehr fehlerhaften Arbeit Schiefners“! 3
Sie dürfte auch interessieren, was D. über Adjarian sagt. Nachdem er von Rosens 4 Arbeiten über das Mingr., Saz. u. Svan. gesagt „sind zu revidiren“, setzt er fort „dasselbe gilt v. M. H. Adjarians Étude …“5 Alles das findet sich auf p. VII d. Vorworts, die einzige Partie desselben, die stehen bleiben könnte u. wirklich gründliche Sachkenntnis verrät.
Einen schweren Kampf habe ich gekämpft – mit welchem Erfolg, weiss ich noch nicht – gegen die Buchstaben, welche in Dirrs Grammatik angewendet worden sind. Ich hoffe zwar bei einem so vorgeschrittenen Stande des Drucks durchaus nicht, dass die teilweise von dem gewöhnlichen Drucke stark abweichenden Typen ausgetauscht werden könnten, suche aber den Verf. von der unbedingten Notwendigkeit zu überzeugen, in d. ersten Lektionen d. Praktischen Teils wenigstens bei all den Wörtern die Transcription einzuführen wo z und ʒ vorkommt, da diese |4| in Dirrs Grammatik kaum von einander zu unterscheiden sind, so dass bei mir unbekannten Wörtern ich selbst nicht weiss, welche Buchstaben ich vor mir habe (bis ich nicht in Čubinov6 nachsehe).
Über [georgisch] hatte ich bloss gefragt, weil Munkáci es mit gewohnter Kühnheit mit tabass.7bicur (worin -r Geschlechtsexponent ist!) in d. Weise identifiziert hat, dass er in beiden das r für Bindungssuffixe hält (dass b = m u. m = b ist in allen Sprachen der Welt u. in jedem einzelnen Fall, ist ihm Dogma!); so ist es ihm unter anderem gelungen, nicht nur ung.pici sondern auch dial. Iczuska – piczuska aus dem Kauk. zu erklären! Ein grosser Mann (= Erck/. tabass. picur!)
Neulich habe ich gelesen, dass Vsev. Miller8 in Живая старина 1890, p. 216-218 eine Anz. geschrieben hat: Рецензия [?] бар. Услара: Лакский язык. Sie erwähnen unter Kasikamukisch nichts von Uslars Werk9, wo u. wann ist es erschienen?
Von Masing 10habe ich noch keine Antwort! Gelegentlich würde ich Sie, Herr Kollege, leihweise um Ihre Abh. Über das Georgische 11bitten, es ist mir bisher nicht gelungen ihrer habhaft zu werden. Die 2 andern Bücher sende ich nächstens zurück. Ich gedenke gleich nach d. 20 Juni nach Siebenbürgen abzureisen ( N. Szeben12 Salzg. 2) und Sie?
Mit fr. Gr.
Ihr ergebener
Asbóth
1 Adolf Dirr, Theoretisch-praktische Grammatik der modernen georgischen Sprache, Wien u. a.: Hartleben, [1904]. - Kein Nachweis für eine Rez. Asbóths. - Vgl. HSA 02347-02369.
2 Schuchardt, „[Rez. von:] A. Dirr, Theoretisch-praktische Grammatik der modernen georgischen (grusinischen) Sprache mit Übungsstücken, einem Lesebuch, einer Schrifttafel und einer Karte“, Wiener Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes 18, 1904, 241-260.
3 Franz Anton (von) Schiefner (1817-1879), deutsch-baltischer Sprachforscher und Ethnologe
4 Georg Rosen (1820-1891), deutscher Iranist und Turkologe.
5 M. H. Adjarian (Hracya Acaryan), Étude sur la langue laze, Paris: E. Bouillon, 1899 (Mémoires de la Société linguistique de Paris, Leuven: Éd. Peters, 1868-).
6 Davit' Iesseevic Č'ubinašvili (1814-1891), georg. Linguist und Kaukasist.
7 Tabassaranisch, tabassarisch (kaukas. Sprache).
8 Vsevolod Fjodorowitsch Miller (1848-1913), russischer Historiker, Ethnograph und Linguist; vgl. HSA 07389.
9 Pëtr K. Uslar, Etnografia Kavkaza, Tiflis: Tip. kanc. Glavnonač. gražd. častiju na Kavkaze, 1890 (Этнография Кавказа. Языкознание)
10 Wolf, Nachlaß, 47 u. 263 vermutet, es handele sich um Emil Masing und gibt, richtig, dessen Geburtsdatum mit 1839 an. Er war aber zum Zeitpunkt der Briefabfassung bereits seit drei Jahren verstorben († 1898). Möglicherweise handelt es sich um seinen Sohn Oskar (1874-1947), der später ein bekannter Baltist wurde.
11 Über das Georgische. Wien: Selbstverlag des Verfassers, 1895.
12 magyar. Name des Komitats Hermannstadt.