Anna von Zwiedineck an Hugo Schuchardt (70-13127)
an Hugo Schuchardt
29. 07. 1918
Deutsch
Schlagwörter: Grazer Tagespost Gnad, Ernst von Bauer, Mela Österreich
Zitiervorschlag: Anna von Zwiedineck an Hugo Schuchardt (70-13127). Klopein an Klopeiner See, 29. 07. 1918. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2021). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.9056, abgerufen am 28. 09. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.9056.
Klopeinersee 29/7
918
Verehrtester Freund
es soll gewiß keine Pression zu einem Briefe sein – wenn ich mich mit diesen Zeilen über Ihr Befinden erkunde – aber diese totale Nachrichtlosigkeit ihrerseits, beunruhigt mich sehr.
Ich weiß zwar, daß so un temps pluvieux et orageux das Schlimmste für Ihre Nerven ist – aber ich kann annehmen daß es jetzt besser werde –.
Auch bei uns war die Temperatur mehr Oktober – als Juli, – gestern zum erstenmal wieder saison gemäß – aber noch ferne |2| von jeder Hundstagehitze.
Der arme Gnad1 hat es nun auch überstanden – er hat aber tapfer standgehalten u. war lange umhüllt von der Toga seiner Vornehmheit. Ihm machte es doch trotz allem eine Freude Statthalters Auto vor seinem Hause zu wissen u. Gräfin Olga’s Tuilerien zu erwecken. Und Frau Sylva’s (Ulrike’s) Nachruf war doch auch ganz hübsch. – Mir (uns) blieb er immer was Fremdes. Es fehlte das einigende Element!2
Von Mela hatte ich vor einigen Tagen Nachricht, ihrem armen Mann gieng es auch wieder – es war sich auch der ungünstige Witterungs- |3| einfluß Gott sei Dank für die Fluren u. Culturen war aber doch ein gutes Jahr – u. wir könnten aushalten – wenn – wenn – wenn. –
Nun erwarten wir meinen Schwiegersohn aus Kiew, der gegenwärtig wirklich der Ernährer der ganzen Familie ist, – denn seine Sendungen sind die Basis unserer Existenz.
Trotz der fabelhaften Üppigkeit u. Fruchbarkeit der Ukraine ist es doch auch recht theuer dort – das Geld entwertet wie bei uns. Für 1 Kilo Brod begehren die Leute 10 Kronen für 1 kleines Päckchen Tabak 5 Kronen etc –. Oesterreich kaufte ein – aber es fehlte an Tauschmitteln an Säcken an Waggons – u. so liegt die schöne Frucht dort irgendwo irgenwie – der Verderbnis |4| ausgesetzt! Die Deutschen hatten alles prachtvoll organisiert u. eingeheimst – wir – unsereins wie hinterdrein. –––
Vor 3 Tagen feierte ich mein gold. Hochzeitsjubiläum, es war wohl ein schöner Traum – wie am Ende alles auf der Welt. Mir wäre esGlück, wenn er noch lebte3 – ob es unter diesen Umständen für ihn ein Glück wäre – diesen hoffnungslosen Kampf mitzuerleben? – – – –
Leben Sie wohl, ich will nicht anfangen politisch zu werden – der Brief nähme ein schlechtes Ende. –––
Meine Kindeln entwickeln sich sehr gut, besonders die Kleine wird ein pikantes interessantes Geschöpfchen, Muttern sehr ähnlich nur zarter als diese. Die Blonde schlägt entschieden in die siebenbürger sächsische Art – mehr mündlich. Rosa4 schließt sich meinen innigsten Grüßen an u. erhofft eben so sicher gute Nachricht als Ihre
herzlich ergebene
Anna Zwiedineck
1 Ernst Ritter von Gnad (1836-1918), österr. Schriftsteller, Landesschulinspektor a. D., Theaterkritiker der Grazer Tagespost; vgl. HSA 03784-03784A-03793.
2 Personen nicht identifiziert.
3 Hans von Zwiedineck war am 22. November 1906 im Alter von 61 Jahren in Graz verstorben.
4 Dorothea Johanna Margarethe Josefine Helene Nikoletta Kressler (5.12.1909-16.12.1999).