Anna von Zwiedineck an Hugo Schuchardt (64-13121)

von Anna von Zwiedineck

an Hugo Schuchardt

Unbekannt

02. 08. 1917

language Deutsch

Schlagwörter: Zwiedineck, Otto von Zwiedineck, Rosa Kreissler, Dora

Zitiervorschlag: Anna von Zwiedineck an Hugo Schuchardt (64-13121). Unbekannt, 02. 08. 1917. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2021). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.9050, abgerufen am 05. 12. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.9050.


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Lieber – ich darf wohl sagen alter armer Freund

seien Sie mir nicht böse daß ich so spät erst danke. Ich behielt mir die besten Beantwortungen u. Danksagungen zum Schlusse – u. nun1 komme ich mir vor wie ein Schulkind das 70 u. so viele Variationen auf „mein Wiegenfest“ schreiben soll. Ich hatte es satt schrieb gar nicht mehr, u. hole erst jetzt nach.

Ich weiß nicht ob auch Sie solch einen Respect vor sich bekamen – nach dem 70. – als ich z. B. Nach jeder Leistung sei es eine Arbeit |2| oder Vergnügliches – sage ich mir voll Bewunderung – 70 Jahre! – wer macht Dir das nach? – Und doch empfinde ich auch le revers de cette médaille schon ganz unbestritten! – das Herz – das oft wie ein Lämmlein auf der Weide hüpft – u. beim Schwimmen die Courage verliert. Nein es ist nicht mehr wie einst.

Daß Otto mich mit seiner Anwesenheit erfreute war wohl die liebste Gabe, so festlich auch Rosa die große Cour zu gestalten wußte2u. so reizend die Kinder waren. Leider ist mein armer Bub auch ein Kriegsopfer. Seit fast 3 Jahren |3| konnte er nichts publiciren – in Lodz ist er als unabkömmlich beschrieben – u. eine Lehrkanzel nach der anderen wird frei – nicht frei für ihn.3 Es würde Sie wohl sehr interessirt haben ihn zu hören – er hat für vieles eine andere Lesart als wir hier zu Lande. –

Ich möchte manches schreiben – aber – die weißen Flecken!

Auch meiner armen Schwägerin Sohn ist jetzt durch die neue Bukowina Action um seinen wohlverdienten Urlaub gekommen. Seit einem Jahr hatte er keinen! –

Wir werden wohl, wenn die Ernährungsverhältnisse es gestatten bis Mitte Sept. hier bleiben. Ich bliebe am |4| liebsten den ganzen Winter wenn nicht die Sehnsucht nach meinen alten Freunden Bruder Cousine – mich stark in die Stadt zöge; – denn welche misère erwartet einen daheim? – Hier ist bis auf Brod so ziemlich alles zu haben – um das Brod gehen wir aber allerdings schon bitten bei den Landleuten. Leihweise bekommen wir manchmal solches – bis die Gemeinde wieder einmal Mehl verteilen läßt. Und dabei ein Sonnentag nach dem andern, bei Tage Höchsttemperatur – die Nächte sehr kühl ¬¬– u. alle Ernte schlecht. Mein guter Alter hätte trotz Patriotismus weidlich geschimpft, u. Ihre liebe gute Mutter wie hätte sie um Augusten4 gebangt. Leben Sie wohl –, empfangen Sie alle herzl. Grüße von dem 4blättrigen Kleeblatt der blonden Dora – der braunen Rosa der schwarzen Bärbe u. der weißen

Anna Zwiedineck


1 Sie wurde am 7. Juni 1917 70. Jahre alt.

2 Aus Anlaß ihres 70. Geburtstags

3 Er wechselte jedoch unmittelbar nach Kriegsende (1920) nach Breslau.

4 Nicht klar, wer gemeint ist..

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 13121)