Hugo Schuchardt Archiv

Hertzstraße 2a. Karlruhe
21/11 12

Sehr berühmter, hochgeschätzter u. sehr lieber Freund.

Seien Sie herzlichst bedankt für Ihre liebe Sendung. Wir haben Ihren Brief mit Begeisterung gelesen –!¹ Wäre „vornehm“ jetzt nicht ein so oft misbrauchter Ausdruck – so wäre dies die richtigste Bezeichnung für seinen Inhalt u. Denkweise des Schreibers. Er (Der Brief) sollte un- |2| den Meisterstücken klassischen Stiles in den Jugendbüchern verewigt werden! Gegenwärtig besetzt ihn Excellenz Engler² – der wird sich daran erfreuen – an dem feinen Kopf – in- u. auswendig! Gar zu gern hätte Otto auch Ihre letzte Replik an Meringer gelesen – hätten Sie zufällig noch ein Exemplar davon?³

Wenn das Wetter so fort thut, wie bisher so komme ich überhaupt nicht mehr nach Hause – es schüttet meist in Strömen – solch ein Herbstwetter erlebte ich noch kaum. Wie müssen Sie darunter leiden – da ists bei uns doch noch besser –. Auch die socialen Verhältnisse; trotzdem Karlsruhe Residenz⁴ ist auch eine Art |3| Biedermeierstil hier zu merken – (Künstlerkreise ausgenommen). Man macht sich Vormittag Besuche – u. zwar schon um ¾ 11 war heute irgend eine Excl. (ich glaube der Oberstallmeister) da. Denn –, mir scheint alle Hofchargen machen Besuch beim Rector – wozu ist es persönlich? – das weiß ich gar nicht. Vor circa 10 Tagen war Otto in Kiel beim Stapellauf des Kriegsschiffes „Karlsruhe“. Er war dort Gast Krupp-Bohlen’s u. verbrachte sehr interessante Tage.⁵ Prinz Heinrich war Stellvertreter des Kaisers.⁶ Besonders die Prinzeß war sehr gnädig⁷ – u. mein großer Bub⁸ saß als Dritter zur Rechten des Prinzen! Ich fühlte mich mehr geschmeichelt als Otto!

Auch der politische Himmel will sich nicht klären – u. dazu noch die Cholera – der unheimliche |4| Gast, mir ist oft recht bang um die Meinen in Halbasien! –

Es ist doch ein ganz anderes Sein hier – im Centrum von Europa man hat viel mehr Sicherheit als so an der Peripherie der Cultur. Ich weiss nicht ob ich Ihnen schon einmal sagte daß ein sonderbarer Zufall waltet indem ein Urgroßvater meines Sohnes Badenser war u. so ein Familienglied den Weg wieder zurückfand – leider ohne Nachfolger. –

Was machen Bauers? Leben flott bei Pagat und Skup?⁹ – Von Reininghaus¹⁰ hörte ich in München viel erzählen – die Welt ist kugelrund. Leben Sie wohl – beim nächsten Englerdiner¹¹ werden wir ein hurrah – hurrrah – hurrah auf Sie ausbringen – mit herrlichem Englerwein. – Bitte grüßen Sie Bauers u. bleiben Sie gesund!

Auf frohes Wiedersehen

Anna Zwiedineck