Anna von Zwiedineck an Hugo Schuchardt (33-13090)
an Hugo Schuchardt
17. 03. 1903
Deutsch
Schlagwörter: Universität Graz Fleischhacker, Robert von Richter, Eduard Paris, Gaston Gurlitt, Wilhelm Herberstein, Sigmund von Zwiedineck-Südenhorst, Hans von Bauer, Mela Bauer, Adolf Zwiedineck, Rosa Graz Ägypten
Zitiervorschlag: Anna von Zwiedineck an Hugo Schuchardt (33-13090). Graz, 17. 03. 1903. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2021). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.9019, abgerufen am 22. 09. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.9019.
Graz 17/3 03.
Verehrter Freund
es ist wirklich rührend daß Sie unter all den herrlichen Eindrücken noch eines unbedachten Wunsches von mir gedenken – ! – Ich mochte Ihnen wohl keine Stunde vergällen u. Sie mit unnützen Suchen quälen, nein, meine Gewissenhaftigkeit ist entschieden größer als mein Egoismus! –
Nur – wenn Sie in Besitz von Scarabaen kommen – dann erwerben Sie auch für mich 1 – oder wenn nicht theuer 2 Stücke. Ich meine dieser Artikel ist ja in Egypten landläufig.
Auch würde Ihnen dies weder Transport– noch Zollschwierigkeiten verursachen. Also besten Dank wenn es sein kann – !
Bedauernd sah ich aus Ihrem letzten Briefe – daß nicht einmal |2| der alte Zauber Egyptens auf die Dauer Ihre Leiden hintan zu halten vermag! Vielleicht gelänge es irgend einer schönen eleganten Frau – Sie über die leiblichen Miseren hinweg zu interessiren. Sie wissen doch, daß hervorragende Naturen zu allen Jahreszeiten resp. allen Lebensaltern verliebt sein können, – also frisch drauf los – es werden wohl noch nicht alle vergeben sein die Ihre Wege kreuzen. Sie nannten so viele Namen – deren Träger u. Trägerinnen in meiner Erinnerung als urfesch auftauchen, u. die schönsten Sündenpfühle entwickeln sich in mir. –
Wo sind sie hin – diese schönen Zeiten??! Was Sie mir von Schuch’s1 erzählen ist mir gar nicht neu – aber Schuch hat ja den oesterreichischen Adel erhalten u. nicht den sächsischen! Und das ging mit Hochdruck! – Ein andres Bild – auch das schon lange vorbei – damals war sie noch ein entzückendes junges Weibel – jetzt – recht lädirt vom Zahn der Zeit. |3| Fleischhackers sind gestern nach Genua abgedampft, – Robert2 noch recht unauscurirt. Und dabei erwartet sie ein Schiff mit 3400 Tonnen statt das vorher bestimmte mit 9000 Tonnen. Und auch das herrliche Medicament Prof. Antons welchem Prof. Richter seine ganze Seelenruhe auf dem Ozean verdankte, haben sie sich nicht verschaffen können – da sie zu spät davon erfahren. Wirklich das sollten Sie sich verschaffen. Richter3 war jedesmal ein Opfer – u. machte jetzt trotz Bora gute Fahrt. Allerdings ist Bora nie so gefährlich als Scirocco.
– Hier alles stagnirend – nur nicht der Klatsch. Der frißt eifrig weiter. Daß Ihr Freund Gaston Paris gestorben lasen Sie doch?4 Ein hübscher Kopf muß er gewesen sein. – Auch mit dem armen Gurlitt5 gehts nicht besser! Heute sind sie sammt seinem Bruder Otto aus London,6 nach Lovrana7 abgereist – die beiden älteren Mädchen blieben hier –. Es muß schon grâve|4| sein – wenn Mary sich zur Trennung von den Kindern entschloss. Das Traurige daran ist – daß er sich seines decadenten Zustandes bewußt sein soll. – Es ist jammerschade denn er war wirklich – ein reicher Geist. (NB. Der alte Graf Herberstein8 war bereits aufgegeben – scheint sich aber zu erholen.) – Genug der Hiobsboten – es gibt noch viel Erfreuliches! – Denken Sie – Hans langweilt sich schon in den Sitzungen! Ist das nicht ein Riesenfortschritt in der Entwicklung meines lieben Alten? – Bei Bauers geht’s gut – Mela sehr affairée durch den Saisonschluß – u. Adolfs Buch; ¬– welches wirklich sehr hübsch ist.9
Nächstens mehr – ich habe ja wieder für ein Wohltätigkeitsfest zu arbeiten. Il n’y en a pas en Egypte? – – Glückliches Land!
Alle lieben Grüße von den Meinen – u. Dank von Rosa. – Ich möchte Sie vor Lebenslust so strotzend sehen – wie ein preußischer Landjunker vor Aufgeblasenheit.
Good bye! Herzlichst
A v Zwiedineck
NB vor Masern in Acht nehmend10
1 Julius Maria Franz Schuch (1862-1923), österr. Pianist und Musikschriftsteller, Oberrechnungsrat i. R.
2 Robert Frh. v. Fleischhacker (1855-1937), Anglistikprofessor in Graz; vgl. HSA 03060-03069; er war verh. mit Helene (N.N.).
3 Eduard Richter (1847-1905), österr. Geograph und Glaziologe in Graz. Auf eine Algier-Reise wurden keine Hinweise gefunden.
4 Der französische Romanist Gaston Paris starb am 5. März 1903 in Cannes im Alter von knapp 64 Jahren. Der letzte mit Sicherheit datierte Brief an Schuchardt stammt vom 21. Januar 1903, als Schuchardt auf Reisen war.
5 Wilhelm Gurlitt (1844-1905), Archäologe; vgl. HSA 04231-04244. – Er war verh. mit Mary Labat.
6 Otto Gurlitt (1848-1905), Bankier (Fa. Gurlitt u. Mandelkau) in London.
7 Lovran ist ein Luftkurort und Seebad etwa 5 km südlich von Opatija / Abbazia (Kroatien).
8 Major a. D. Johann Sigmund zu Herberstein (1831-1907); vgl. HSA 04613.
9 Lehrbuch der Geschichte des Altertums für die oberen Klassen der Gymnasien , Wien 1903 (zahlreiche Nachdrucke).
10 Man würde eher erwarten „in Acht nehmen!“