Anna von Zwiedineck an Hugo Schuchardt (30-13087)

von Anna von Zwiedineck

an Hugo Schuchardt

Graz

06. 01. 1903

language Deutsch

Schlagwörter: Universität Graz Zwiedineck, Otto von Hildebrand, Richard Fleischhacker, Robert von Graz Kairo

Zitiervorschlag: Anna von Zwiedineck an Hugo Schuchardt (30-13087). Graz, 06. 01. 1903. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2021). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.9016, abgerufen am 28. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.9016.


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Graz 6/1 03

Chér ami,

eigentlich sollten diese Zeilen sie schon bei Ihrer Ankunft in Cairo begrüßen1 – aber es ist beim „Wollen“ geblieben! – Nun mögen sie die gute Absicht erfüllen. –

Die Anwesenheit meiner Kaschauer2 Kinder hat mich sehr in Contribution gesetzt es gab immer irgend etwas – und irgend Jemand im Hause, – Leider ist dieser frische fröhliche Zug – Windzug wieder davon gesaust – fort sind die Gestalten – und ich sammle nun meine Kräfte um alle übrigen vernach- |2| lässigten irdischen Pflichten zu erfüllen. –

Seien Sie froh Europa entkommen zu sein – denn hier setzt wieder die Influenza ein –dieser häßliche Gast! Leider hat sie auch unsern Otto erwischt u. zwar auf einer kleinen Reise nach Würzburg – u. recht bösartig bis zu einer leichten Nierenentzündung hat er es gebracht. Da er uns erst Mittheilung machte als er schon besser war – unterblieb natürlich meine Fahrt zur Pflege dahin.

Wir haben diese Tage so viel an Sie gedacht – wie wird das Colli3 angekommen sein? – |3| Gestern war die Wetterkarte im Norden von Europa schlecht – bei uns war mäßig – Sie schwammen wohl im Sonnenlichte – ich will es wenigstens hoffen – denn wenn es schlecht war so kommen Sie am Ende gar nicht mehr herüber – u. Shephards Hotel4 saugt sich an den Pensionen emerittirter [sic] oest. Staatsbürger voll!5

Bleiben Sie mir gesund und etwas übermütig – es ist viel besser Sie machen eine Dummheit als eine Krankheit. Denn zwischen diesen Beiden geht ein Mensch immer durch. –

Auch unser Freund Hildebrand6 war wieder krank u. sowohl zu Sylvester bei Fleischhackers7 als Neujahr bei uns abgängig. –

|4| Neues gibts in der alten Welt gar nicht mehr – auch die durchgebrannten Kronprinzessinnen8 ziehen nicht mehr. – Man ist so blasirt u. so schnell ennuyirt. – Frischen Sie uns mit Ihren Schilderungen wieder auf –

sie werden sehnlichst er
wartet von der Sie herzlichst grüßenden
casa

Zwiedineck


1 Den Winter 1902/03 bis April 1903 verbrachte Schuchardt in Neapel und Ägypten.

2 Košice ist eine Stadt im Osten der Slowakei in der Nähe der ungarischen Grenze.

3 Gem. ist wohl franz. „ le colis“ (das Päckchen).

4 Dieses berühmte Kairoer Traditions-Hotel wurde 1952 bei einem Großbrand zerstört und dann in neuer Ausstattung wieder aufgebaut.

5 Schuchardt war bereits seit 1900 Grazer Emeritus.

6 Richard Hildebrand (1840-1918), österr. Wirtschaftswissenschaftler; er stammte aus Breslau, hatte in Leipzig und England studiert und war seit 1869 an der Grazer Univ. tätig; vgl. HSA 04724-04727.

7 Robert Frh. v. Fleischhacker (1855-1937), Anglistikprofessor in Graz; vgl. HSA 03060-03069; er war verh. mit Helene (N. N.). Hier sind vermutlich Besucher aus England gemeint,vermutlich sogar Verwandte der Ehefrau. Fleischhacker war zeitweise Grazer Bürgermeister.

8 Luise von Österreich-Toskana (1870-1947) war die Ehefrau von Friedrich August III. von Sachsen, machte aber durch ihr turbulentes Leben, vor allem Ende 1902, von sich reden.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 13087)