Anna von Zwiedineck an Hugo Schuchardt (17-13074)
an Hugo Schuchardt
30. 07. 1896
Deutsch
Schlagwörter: Zwiedineck, Margarethe von Zwiedineck, Rosa Tirol Graz
Zitiervorschlag: Anna von Zwiedineck an Hugo Schuchardt (17-13074). Langenfeld, 30. 07. 1896. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2021). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.9003, abgerufen am 28. 09. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.9003.
Längenfeld 30/7 96
Lieber Freund
herzlichsten Dank!
Nach einem 2tägigen unerträglichen Föhn – der mit einer Unmasse Gletscherwasser – wieder Regen, mit diesem Hochwasser und heute Nacht einen Brückeneinsturz brachte – sind wir vorläufig von der Welt abgeschnitten! Für die Post wurde ein Wegerl über eine Muhr1 ausgegraben – längs der schäumenden Ache – recht ungemütlich! Der Brückenbau soll zwar heute noch in Angriff genommen werden – sobald sie fertig ist – sage ich dem schönen |2| Oetzthale – Ade.
Ich hatte heute Nacht schon alles gepackt – um entweder auf den Burgstein zu flüchten oder heute früh nach Innsbruck zu fahren – denn das Wasser gieng schon bis an die Straße an der unser Badehotel steht! Aber Gott sei Dank – es verlief wieder nach Mitternacht – und ich gieng schlafen! – Noch einige Male solche Sommerfrischen und ich bin zur Heldin ausgebildet! –
Die arme Greta2 hat das alles schon vorempfunden – sie war die reine Kindsleiche. – Rosa hält uns und einen großen Theil der Gesellschaft |3| viele Wiener – (viele Juden Journalisten) darunter – mit ihrem Humor über Wasser. Eine sehr nette mecklenburgische und holsteinische Familie ausgenommen, gibt es hier keine Reichsdeutschen – eine Seltenheit in Tyrol. Mein armer Mann – der sich wie im Schlaraffenlande durch alle erdenklichen Familienreisbreie durchessen muß – wird recht bange haben um uns. Das nächste Jahr bleibe ich im Lande und ernähre mich dort lieber unredlich.3 – Trotz der unzähligen Briefe hörte ich von Haus nichts Neues – als den Tod des armen Frey.4 – Das ist aber auch zu traurig. |4| Das Telegramm Ihrer lieben Einzigen verdanke ich wohl Ihrer Vermittlung, denn die Adresse war zu verblüffend correct. Sie glauben wohl nicht wie glücklich ich bin, so oft ich solch ein Liebeszeichen von der verehrten Frau erhalte! –
Viele – viele möchte ich noch haben!
Leben Sie wohl – lieber Freund – ganz klein wenig beneide ich Sie um die Sommerfrische Graz! – Wenn ich auch thue – als wäre nichts – ein bisl geht mirs auf die Nerven – und homesick bin ich schon entsetzlich nach meinem Buben! Adieu, und immer das Allerherzlichste! –
Mit Grüßen der Kinder Ihre alte treue
Mit Grüßen der Kinder Ihre
alte treue
Anna Zwiedineck
1 Gem. „Mure“?
2 Ihre Tochter.
3 Bibelword (Ps. 37,5), das zum Sprichwort geworden ist. (Übers. Martin Luthers).
4 Carl von Frey (1826-1896), Salzburger Kaufmann, Kunstfreund und Maler. Im Sommer 1896 besuchte er seine Söhne Max und Rudolf (beide waren Ärzte) in Prag und Leipzig und reiste zur Kur nach Berlin, wo er am 24. Juli des Jahres, 71jährig, einer Lungenentzündung erlag.