Anna von Zwiedineck an Hugo Schuchardt (05-13062)
an Hugo Schuchardt
25. 06. 1887
Deutsch
Schlagwörter: Neue Freie Presse Grazer Tagespost Rullmann, Wilhelm Bauer, Adolf Zwiedineck-Südenhorst, Hans von Graz Gotha
Zitiervorschlag: Anna von Zwiedineck an Hugo Schuchardt (05-13062). Graz, 25. 06. 1887. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2021). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.8991, abgerufen am 11. 12. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.8991.
Graz 25/6 87.
Lieber Freund
ich danke Ihnen recht herzlich, für Ihren lieben Brief1 – ich kann es begreifen – daß Sie mitempfinden! –2 Aber ob allein – ob umgeben von Familie ¬– es bleibt gleich schmerzlich
„es mögen auch zwei Herzen Ganz eins in Liebe sein – des Lebens tiefste Schmerzen trägt man doch stets allein!“3
Wie sich die ganze Welt verändert, wenn man vater- oder mutterlos ist – oder gar wie ich, Beide in einer Person verloren hat!! |2| Ich will Ihnen in der Fremde nicht das Herz schwer machen – ich möchte Ihnen nur sagen, Sie sollen hoffen – daß es wieder aufwärts geht ¬– wenn auch langsam! –
Ich denke schon, wenn ich es nur möglich machen könnte – so möchte ich Ihre Mama besuchen – oder wenn sie irgendwo auf das Land ginge? – Wir wollen die Ferien in Berchtesgaden verbringen – das ist schon ein großer Schritt nach Gotha! –
Ihre Sendung hat mich unendlich erfreut – hätte |3| Ihnen gerne gleich geschrieben doch kam ich nicht gleich dazu. – Den andern Tag war’s schon so schlimm – und so fort – bis es zu Ende war! Mein Mann hat von Ihren Triumphen mit Stolz erzält – und das Blatt Rul[l]mann4 gezeigt – da er gerne gehabt hätte, daß man auch hier etwas davon wisse, denn wir wollten das „nul prophète dans sa patrie“5 – nicht wahr werden lassen. ¬– Rullmann hat in der N. freien Presse einen sehr hübschen Aufsatz gebracht darüber, der in den Tagespost nicht Aufnahme fand – „da sich die anderen Professoren|4| sonst zu sehr geärgert hätten!“ – So meinte nämlich – der Chefredacteur! Kommt Ihnen das nicht vor, als wie in weiland Lalenburg?6
Es thut mir sehr, sehr leid, daß die Leute bei uns so sind!
Daß Bauer7 in Tübingen (tertio loco) vorgeschlagen – die arme Seuffert8 – die eine sehr, sehr gute liebe Person ist die ich herzlich gern habe, krank war – werden Sie gehört haben –. Sonst weiß ich nichts – ich lebe ja ganz, ganz zurückgezogen – die Menschen thun mir weh! – Es gibt Wenige, denen ich so herzlich gut bin, wie Ihnen & noch Wenigere – die ich mir so aufrichtig ergeben halte. –
Mit der Zeit, wird sich’s schon bessern – ich müßte unnatürlich hart werden – würde ich das beschleunigen! ¬ – Ich danke Ihnen von ganzem Herzen – & wünsche Ihnen alles Glück – & alle Freuden! – Von Hans viele Grüße! – Ihre aufrichtige
Anna Zwiedineck
1 Schuchardt hält sich noch im Baskenland auf.
2 Es geht um den Tod ihres Vaters am 7. Juni 1887 in Graz.
3 Quelle nicht identifiziert.
4 Gem. ist wohl Wilhelm Rullmann (1841-1918), Schriftsteller und Publizist, zu diesem Zeitpunkt in Wien.
5 „ Nul n’est prophète dans sa patrie“ (Saint Marc 6, 1-6).
6 Das Lalenbuch schildert die Schwänke der Schildbürger.
7 Adolf Bauer (1855-1919), österr. Historiker; vgl. HSA 00612-00640.
8 Anna Seuffert geb. Rothenhöfer (1855-1919), seit 1886 Ehefrau von Bernhard Seuffert.