Leo Reinisch an Hugo Schuchardt (159-09347)

von Leo Reinisch

an Hugo Schuchardt

Maria Lankowitz

27. 08. 1918

language Deutsch

Schlagwörter: language Französisch

Zitiervorschlag: Leo Reinisch an Hugo Schuchardt (159-09347). Maria Lankowitz, 27. 08. 1918. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2021). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.8976, abgerufen am 05. 10. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.8976.


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Lankowitz 27.8.1918

Liebster u. verehrtester Freund,

Ich bin erst heute so weit disponiert daß ich Ihnen den Erhalt von Brief u. Buch bestätigen u. dafür meinen innigsten Dank sagen kann. Ach ja, wenn man bald 86 Jahre zählt, sind Indispositionen nichts verwunderliches, was aber die Seele bedrückt, ist der Gedanke daß man zu einer geistigen Arbeit nicht mehr fähig ist. Wären nur die Augen noch dienstfähig, dann könnte ich schreiben, lesen, arbeiten den ganzen Tag u. wäre ein glücklicher Mensch; so aber verrichte ich nur körperliche Funktionen, also eine nutzlose, überflüssige Maschine, die ich tatsächlich bin. Aber Verzeihung, ich will nicht Ihr Bedauern provocieren, das würde mich nur niederdrücken.

Nun meinen allerbesten Dank für die Uebersendung der Bücher, Sie haben gut ausgewählt, das Buch ist wirklich praktisch u. für den ersten Unterricht sehr geeignet.1 Aber einen kleinen Uebelstand darf ich nicht verschweigen. Das Büchlein beginnt mit Lektion 53, Deuxième conjugaison! Was also fehlt: Die 1. Abteilung! Auf dem Titelblatt steht auch: Lehrgang der franz. Sprachevon X. Ducotterd u. W. Mardner. Erster Teil, 2. Abteilung. Ich bitte also den Buchhändler zu veranlassen noch nachzuliefern die 1. Abteilung!2

|2| Nun ich bitte, werden Sie doch nicht ungeduldig über meine Zudringlichkeit u. wüßte ich den Namen des Buchhändlers, der die 2. Abteilung geliefert hat, so würde ich Sie nicht abermals bemühen. Jetzt aber noch ein Wort: in Ihrem lieben Briefe heißt es: überlassen Sie mir die Regulierung der Kleinigkeit! Freundschaft u. Geschäft sind getrennte Sachen. Sie wollen mich doch nicht demütigen. Auf den Innenseiten des Buchdeckels ist von der Handlung mit Blei angeschrieben: ℳ. 2-. Statt durch die Handlung mir das Buch senden zu lassen, haben Sie noch die Mühe der Verpackung, Frankierung u. Versendung übernommen. Wenn Sie mich also wirklich nicht demütigen, sondern einen Freundschaftsdienst leisten wollen, so bitte ich Sie um folgendes: Ihr Buchhändler sendet mit noch die 1. Abteilung des ersten Teils vom oben genannten Buch, legt die Rechnung der zwei Abteilungen u. einen Zahlungsschein bei u. die Sache ist erledigt. Sie aber seien von mir auf das herzlichste bedankt für Ihre wirklich große Liebenswürdigkeit u. bleiben Sie mir ein lieber Freund, so lange ich als unnützes Menschenkind auf dieser greulichen und grauslichen Erde verweile.

Ich eile zum Schluß weil die Augen versagen. Ich habe aber noch einige Dinge die ich Ihnen sagen möchte, aber so bald ich wieder ganz normal bin, werde ich mir gestatten, einen Plauderbrief zu schreiben, |3| eine Schale Plausch mit Ihnen einzunehmen; jetzt aber allen herzlichen Dank für Alles u. die besten Wünsche u. Grüße für Sie von

Ihrem alten Invaliden
Leo Reinisch

Nur wenn auch bloß auf einer Karte bitte ich um Mitteilung über Ihr Befinden, da mir Ihr Brief doch Sorgen gemacht hat.


1 Vgl. HSA 09346.

2 Lehrgang der französischen Sprache auf Grund der Anschauung und mit besonderer Berücksichtigung des mündlichen und schriftlichen freien Gedankenausdrucks, bearb. Von X. Ducotterd und W. Mardner, Frankfurt am Main; Jügel, 1908, Vierzehnte Auflage, 155 S.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 09347)