Leo Reinisch an Hugo Schuchardt (150-09339)

von Leo Reinisch

an Hugo Schuchardt

Maria Lankowitz

05. 05. 1916

language Deutsch

Schlagwörter: Magyar Tudományos Akadémia (Budapest) Kaiserliche Akademie der Wissenschaften (Wien) Simonyi, Zsigmond Schroeder, Leopold von Torczyner, Harry Graz

Zitiervorschlag: Leo Reinisch an Hugo Schuchardt (150-09339). Maria Lankowitz, 05. 05. 1916. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2021). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.8967, abgerufen am 28. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.8967.


|1|

Lankowitz 5.5.1916

Lieber verehrter Freund,

Ihr Vorschlag für Simonyi1 sammt Brief ist mir soeben zugegangen u. ich danke bestens. Daß Sie den Vorschlag zweimal: an Schröder2 u. an mich geschickt haben, bedaure ich Ihrer wegen, weil ja nur ein Exemplar eingereicht wird. Ich fahre Montag den 8. Mai morgens von hier ab, besteige um 7 Uhr früh den Wienerzug in Graz u. bin um 2 Uhr in Wien. Mittwoch den 10. ist die erste Klassensitzung u. da werde ich den Bogen von Schröder, Kretschmer u. Karabacek unterschreiben lassen u. gebe ihn dann ab. Ich habe schon unterschrieben. Erforderlich wären nur zwei Unterschriften. Ihre Unterschrift für Junker, wofür ich danke, gebe ich mit dem Beisatz: „auf Wunsch der Genannten.“

Daß Sie nicht nach Wien kommen, tut mir natürlich leid, aber ich verstehe u. würdige Ihre Gründe.

|2|Torczyner’s Buch kenne ich noch nicht,3 habe nur eine Buchhändler Anzeige darüber gelesen. Daraus vermute ich, daß er mein Buch: „Das Pronomen u. die Verbalflexion“4 nicht kannte, vielleicht nicht kennen will.

Auch Jak. Barth’s Buch über das semitische Pronomen5 schweigt mich aus. Arbeiten die Semitisten mit Scheuledern, wie auch die klassischen Philologen über di Indogermanisten mit Schweigen geurteilt haben? Glauben Sie nicht daß meine Eitelkeit verletzt ist, aber im Interesse der ehrlichen Forschung ist solches Vorgehen nicht gerechtfertigt. Ich habe in meinem Buch gezeigt, wie das semitische Pronomen entstanden u. aus welchen Elementen zusammengesetzt ist. Wer über denselben Gegenstand schreibt, soll doch wenigstens di Vorgänger kennen u. dazu Stellung nehmen.

|3|

Meine besten Wünsche für Ihr Wolergehen u. die herzlichsten Grüße von
Ihrem L Reinisch


1 Zsigmond Simonyi (1853-1919), ungar. Sprachwissenschaftler; er war seit 1893 o. Mitgl. der Ung. Akad. d. Wiss.; hier geht es vermutlich um den Status eines auswärtigen Mitglieds. Vgl. dazu den Briefwechsel Schuchardt mit Simonyi (29.3.1916) und zuvor dessen Klage über die Nichtberücksichtigung von Ungarn in der Wiener Akademie (HSA 10658 [22.2.1916]). Schuchardt schreibt an Simonyi: „Der Wiener Akademie gehört wenigstens ein Ungar an: A. von Károlyi. Aber das ist nicht genug wie ich längst gefühlt und gestern in einem Briefe nach Wien betont habe. Wir Provinzler sind, wo es sich um Wahlen handelt, fast machtlos; ich für meine Person ganz kraftlos. Meine Nerven haben mich von je her unendlich oft zur Passivität gezwungen wo mir das sehr leid war. Auch als ich noch zu den Wahlen nach Wien fuhr (Ende Mai) – seit einigen Jahren ist auch das weggefallen –, nahm ich an den Banketten nicht mehr teil. Schriftlichen Verkehr mit Wien habe ich fast gar nicht – aus einem sehr guten Grunde: meine Freunde und Altersgenossen sind gestorben“.

2 Leopold von Schroeder (1851-1920), deutsch-baltischer. Orientalist, seit 1899 in Wien; vgl. HSA 10205-10239.

3 Harry Torczyner (später: Naftali Herz Tur-Sinai), Die Entstehung des semitischen Sprachtypus, ein Beitrag zum Problem der Entstehung der Sprache, Wien: Löwit, 1916.

4 Reinisch, Das persönliche Fürwort und die Verbalflexion in den chamito-semitischen Sprachen, Wien: in Komm. bei A. Hölder (Kais. Akad. d. Wiss. Schriften der Sprachenkommission Bd. 1, 1908); Reinisch, Die sprachliche Stellung des Nuba, Wien 1911 (Akademie der Wissenschaften Wien / Kommission zur Erforschung von Illiteraten Sprachen Aussereuropäischer Völker: Schriften der Sprachenkommission; 3).

5 Jakob Barth, Die Pronominalbildung in den semitischen Sprachen, Leipzig: Hinrichs, 1913.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 09339)