Leo Reinisch an Hugo Schuchardt (137-09326)

von Leo Reinisch

an Hugo Schuchardt

Wien

21. 10. 1914

language Deutsch

Schlagwörter: Villa Malwine k. u. k. Akademie der Wissenschaften in Wien Universität Wien Böhm-Bawerk, Eugen von Becke, Friedrich Westermann, Diedrich Hermann Wien

Zitiervorschlag: Leo Reinisch an Hugo Schuchardt (137-09326). Wien, 21. 10. 1914. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2021). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.8954, abgerufen am 02. 10. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.8954.


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Wien 21.10.1914

Verehrter lieber Freund,

Gestern Abend nach Wien gekommen finde ich Ihr Schreiben vom 19/10 hier vor u. erwidere es dankend.

Zunächst meinen besten Dank für die freundliche Erinnerung an den 21. October. Auf dieser Karte haben Sie eine neue Adresse, ich vermute aber daß es die frühere: Fuchsgasse 30 ist u. Sie nur dem Hause das Epitheton Villa Malvina gegeben haben. Darf ich vielleicht zur Verheiratung mit der ehrenwerten Frau Malvina1 gratulieren? Wenn ja, dann meinen herzlichsten Glückwunsch u. ich würde mich sehr freuen daß Sie sich eine Lebensgefährtin gesucht haben – eine hoch zu billigende Entschließung Ihrerseits, endlich an einen lieben u. liebenden |2| Anschluß gefunden zu haben.

Ihre Anfrage: Wer kommt als Nachfolger Böhm-Bawerks in Betracht?2 Wer im allgemeinen? wer für Sie? kann ich nur nach Vermutung beantworten u. habe noch mit keinem Kollegen darüber gesprochen: ich vermute, daß entweder der jetzige Vicepräsident Lang gewählt wird oder falls er ablehnen sollte, der derzeitige Generalsekretär Becke3 daran kommt; falls dieser vorziehen sollte, in seiner Stellung zu bleiben, dann hat Wetzstein [sic]4 vielleicht die meiste Aussicht. Von mir kann natürlich gar keine Rede sein, da ich ja schon vor Böhms Wal auf eine Anfrage bestimmt erklärt habe, eine solche nicht annehmen zu können. Bei |3| meinen Jahren ganz selbstverständlich u. dazu habe ich gar keine Lust, Bureau-Arbeiten zu leisten u. schon gar keine Neigung, fortwärend im Frack zu allen möglichen Gelegenheiten Aufwartungen zu machen.

Von D. Westermann’s Schicksal habe ich nichts gehört u. erfahre erst aus Ihrem Schreiben davon.5

Daß Sie mir die Zusendung der Tagespost so rasch besorgt haben,6 dafür danke ich erst heute – ich bitte mein Versäumnis zu entschuldigen.

Da ich in aller Eile schreibe, so bitte ich um Nachsicht wegen meiner wenig sorgfältigen Schrift.

Herzlichst

Ihr
L Reinisch


1 Sollte Reinisch wirklich nicht gewußt haben, daß die Villa nach Schuchardts Mutter benannt ist?

2 Eugen Böhm Ritter von Bawerk (1851-1914), österr. Ökonom. Er war seit 1911 Präsident der Kaiserl. Akademie der Wissenschaften. Sein Nachfolger wurde 1915 Viktor Edler von Lang (1915-1919).

3 Friedrich Becke (1855-1931), österr. Mineraloge u. Petrograph.

4 Recte: Richard Wettstein, Ritter von Westersheim (1863-1931), österr. Botaniker, zeitweise Wiener Rektor.

5 Diedrich Westermann hielt sich seit Anfang 1914 in Liberia zu Sprachaufnahmen auf. Der Kriegsausbruch zwang ihn zur Flucht über Spanisch Guinea nach Spanien, wo er interniert wurde und mehrere Jahre als Pfarrer und Ethnograph arbeitete. Nach Kriegsende konnte er nach Deutschland zurückkehren.

6 Vgl. HSA 09325.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 09326)