Leo Reinisch an Hugo Schuchardt (132-09322)

von Leo Reinisch

an Hugo Schuchardt

Wien

12. 06. 1914

language Deutsch

Schlagwörter: Universität Wien Kaiserliche Akademie der Wissenschaften (Wien) Rhodokanakis, Nikolaus Wien

Zitiervorschlag: Leo Reinisch an Hugo Schuchardt (132-09322). Wien, 12. 06. 1914. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2021). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.8949, abgerufen am 28. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.8949.


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W. 12.6.14

Lieber verehrter Freund,

Daß Ihre Nerven Sie so quälen, das tut mir furchtbar leid, um so mehr bewundere ich Ihre Tatkraft, diesen zu Trotz so unermüdlich zu schaffen und an allen wissenschaftlichen Erscheinungen so regen Anteil zu nemen. Daß aber langweilige Sitzungen Sie anwidern, das kann ich leicht verstehen u. so sehr ich mich gefreut hätte, Sie hier in Wien zu sehen u. mit Ihnen verkehren zu können, so kann ich Ihr Wegbleiben im Interesse Ihres Befindens natürlich nur für ganz berechtigt erklären. Wegen Rhodokanakis wäre Ihre Mitwirkung wol recht erwünscht gewesen. Es hätte im Ministerium Eindruck gemacht. Hoffentlich wird seine Ernennung zum Ordinarius doch auch so erfolgen müssen.

Jammerschade ist es daß Rh. die Berufung nach Wien von vornherein abgelehnt hat, er wäre jetzt Ordinarius in Wien u. Mitglied der Akademie. So ist auch die Besetzung des Lehrstuhls von DH Müller |2| noch nicht vollzogen und dürfte die Besetzung kaum günstig sich gestalten. Tut mir leid!

Ich sehe aus Ihrem Schreiben daß Ihnen der Ukas bezüglich Geheimhaltung der Akademiewalen von der kais. Bestätigung auf die Nerven gegangen ist. Aber wie so manche Verordnungen so ist auch diese ja nur für das Papier. Nun hat es mich doch interessiert zu erfaren, aus welchem Anlaß jener Ukas erlassen wurde. Der Anstoß dazu kam so: Der Kurator unserer Akademie ist auch Protektor der čechischen Akademie in Prag. Nun haben die čechischen Akademiker ein paarmal Männer gewählt, welche antiösterreichische Schriften veröffentlicht haben u. denen also die Wal nicht bestätigt werden konnte. Der Kurator scheint nun auch bei uns Vorsicht anwenden zu müssen. Meine Vermutung wegen des Ehrenzeichens haben Sie mir als richtig bestätigt. Ob Sie aber dieses Zeichen haben oder nicht haben, das ist für Sie wol gleich u. Ihr Ansehen in der Gelehrtenwelt wird dadurch nicht alteriert.1 Ueber di Adresse |3| der Berliner Akademie an Sie freue ich mich.2 Daß die Wiener Akademie nicht das Gleiche getan hat, ist bei unseren Beschlüssen wol erklärlich. Vor Jahren wurde nemlich in der Gesammtsitzung der Beschluß gefaßt, Mitgliedern nur zum 80. Geburtstag zu gratulieren. Wegen der Doctors hat eigentlich nur di Universität zu reden.

Mit dem Wunsche daß Ihr Befinden sich gut
gestalten möge, grüßt Sie recht herzlich

Ihr
L Reinisch


1 Schuchardt hatte allerdings am 11.3.1911 eine Medaille der Wiener Akademie erhalten.

2 „ Adresse an Hrn. HUGO SCHUCHARDT zum fünfzigjährigen Doktorjubiläum am 21. Mai 1914 “, abgedr. bei Jürgen Storost, 300 Jahre romanische Sprachen und Literaturen an der Berliner Akademie der Wissenschaften, Teil 2, Frankfurt a. M.: Peter Lang, 2001, 132-133.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 09322)