Leo Reinisch an Hugo Schuchardt (131-09320)
von Leo Reinisch
an Hugo Schuchardt
25. 05. 1914
Deutsch
Schlagwörter: Ministerium für Cultus und Unterricht (Wien) Schweinfurth, Georg Karabacek, Josef von Rhodokanakis, Nikolaus Exner, Sigmund von Wien Schuchardt, Hugo (1864)
Zitiervorschlag: Leo Reinisch an Hugo Schuchardt (131-09320). Wien, 25. 05. 1914. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2021). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.8948, abgerufen am 04. 10. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.8948.
Wien, 25.5.1914
Liebster Freund
Ich hatte mich heute morgen bereits zum Gang ins Grand Hôtel gerüstet, da kommt Ihr Absagebrief, der mich sehr triste gestimmt hat. Seit Jahren für mich ein Festtag, mit Ihnen zusammen zu kommen! Aber Ihre Motive begreife ich u. darum keine Anklage. Ich jedoch bin im Verdruß über mich daß ich zu Ihrem Doktorjubiläum nicht gratuliert habe.1 Zwar trifft mich die Schuld nicht ganz mit Recht, denn ich erfuhr alles viel zu spät, um rechtzeitig in Frack (wenn auch nur schriftlich) bei Ihnen zu erscheinen. Sie werden mir mein Versäumnis wol schon deshalb verzeihen, weil Sie ja wissen, wie hoch ich Sie verehre u. Ihnen alles Beste von ganzem Herzen gönne, ja wünsche. Also nemen Sie nachträglich meine Huldigung auf u. an, sie ist gewiß so aufrichtig wie die derjenigen, die zu rechter Zeit gekommen sind.
Daß Schweinfurth2 nicht über Wien gereist ist das tut mir sehr, sehr leid; ich habe bestimmt darauf gerechnet. So sehe ich ihn wol nie wieder. Allerdings berühren sich unsere Fächer so wenig, so daß ich es wol verstehe daß er keinen Austausch bei mir suchen wollte. Mit Karabacek3 habe ich heute gesprochen, er wird Ihnen auf Verlangen gerne senden. |2| Die heutigen Klassenwahlen ersehen Sie aus der Beilage;4 wären Sie hier gewesen, so hätte Rhodok. eine Stimme mehr erhalten u. hätte wol Aussicht, morgen durchzudringen. Daß sein Ordinariat jetzt leichter erreichbar sei, wie Sie andeuten, das freut mich sehr; aber mit Ćwikliński5 kann ich jetzt schwer reden, weil ich mich eben wegen Rh.6 gezankt habe. Vielleicht sehe ich beim Festessen den Minister, dann spreche ich mit ihm wegen Rh.
Wegen der baskischen Platten werde ich mit S. Exner7 reden u. Ihnen dann berichten.
Es würde mich recht interessiren zu erfahren, welche Auszeichnung Ihre Freunde beim Ministerium angeregt, aber nicht durchgesetzt haben. War es das Ehrenzeichen? Nun das bekommen jetzt schon Damen, welche ein Loblied auf – gedichtet haben. Der preußische Pour le mérite ist doch viel höher eingeschätzt.
Mein Auge duldet nicht daß ich mehr schreibe, also Adieu!
Bleiben Sie wolgesinnt
Ihrem
getreuen
L Reinisch
1 Die Thesenverteidigung von Schuchardts Bonner Dissertation De sermonis Romani plebei vocalibus erfolgte am 21. Mai 1864. Schuchardt konnte demnach am 21.5.1914 sein goldenes Doktorjubiläum feiern.
2 Georg Schweinfurth (1836-1925), russisch-baltendeutscher Afrikaforscher; vgl. HSA 10440-10451.
3 Josef von Karabeck (845-1918), österr. Orientalist und Bibliothekar; vgl. HSA 05270-05292.
4 Nicht erhalten.
5 Ludwig Ćwikliński (1853-1943), Sektionschef und zeitweilig Minister im k.k. Ministerium für Kultus und Unterricht.
7 Sigmund von Exner-Ewarten (1846-1926), bedeutender österreichischer Physiologe; vgl. HSA 02842-02844.