Leo Reinisch an Hugo Schuchardt (130-09319)
von Leo Reinisch
an Hugo Schuchardt
16. 05. 1914
Deutsch
Schlagwörter: Universität Wien Kaiserliche Akademie der Wissenschaften (Wien) Afrikanistik Berberisch
Semitische Sprachen
Nubische Sprachen Rhodokanakis, Nikolaus Schweinfurth, Georg Schroeder, Leopold von Andrian-Werburg, Ferdinand Leopold von Czermak, Wilhelm Wien Graz Lussino Kairo Schuchardt, Hugo (1916)
Zitiervorschlag: Leo Reinisch an Hugo Schuchardt (130-09319). Wien, 16. 05. 1914. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2021). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.8947, abgerufen am 02. 10. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.8947.
Wien, 16. Mai 1914
Lieber Freund,
In der Voraussetzung daß Sie für Rhodokan. unterschreiben würden,1 habe ich, ehe Ihr Brief vom 14. eintraf, in der Klassensitzung vom 13. Schon Ihren Namen unter den Vorschlag gesetzt u. bitte deshalb um Indemnität. Auf Ihr Kommen zu den Wahlsitzungen freue ich mich, um wieder einmal Sie zu sehen u. zu sprechen.
Da Schweinfurt2Graz berührt, so wird er wol auch über Wien reisen u. ich so Gelegenheit finden, ihn wieder zu sehen. Das letztemal bin ich mit ihm in Berlin1897 zusammengetroffen!
Ich freue mich auf Ihre Berberstudien III,3 die Sie natürlich der ZKM geben werden. L. v. Schröder ist nicht mehr Redacteur, sondern Prof. M. Bittner4 mit dem ich sehr befreundet bin. Er wird den Druck Ihrer Studien nach Kräften fördern. – Zur Totenfeier Andrians5 u. der Trauerrede Schröders habe ich mich nicht eingefunden, habe aber die Rede in dem Feuilleton der Zeitung „Zeit“ gelesen.6|2|Schröder7 schätze ich wegen seines integren Charakters sehr hoch u. verkehre gerne mit ihm, aber zu einem näheren Umgang mit ihm kann ich schwer kommen, er ist mir zu temperamentvoll, zu leidenschaftlich. Wie oft habe ich ihn vor törichten Schritten zurückgehalten, aber er wird immer heftiger. Gestern in der allgemeinen Sitzung hat er wieder eine Scene aufgeführt, ich fürchtete schon daß er die Tollwut bekommen werde. Nachträglich sieht er wol ein u. weint auch, aber solches Getue ist mir nicht sympatisch.
Um wieder auf di Berbersprachen zurückzukommen; Sie sagen, diese seien Ihnen in bezug der sprachlichen Stellung rätselhaft. Ja sie geben wol zu denken u. können einem den Kopf warm machen. Ich betrachte sie als das nächste Bindeglied zwischen den chamitischen u. den semitischen Sprachen. Die Grammatik ist am nächsten dem Semitischen, im Wortbau aber dem Chamitischen. Die semit. Sprachen streben nach Dreiradikalikeit [sic], die chamitischen nach zwei u. einem |3| Radikal u. so baut das Berberische sein Wort auf. Unter den chamit. Sprachen steht das Berberische am nächsten der niederkuschitischen Sprachen, was wegen der geograph. Lage recht merkwürdig ist. Die Berbern dürften über Oberägypten in ihre jetzigen Sitze gekommen sein.
Sie haben ganz recht wenn Sie sagen, ich hätte länger auf Lussin bleiben sollen, um den drei Eismännern8 u. der kalten Sopherl9 auszuweichen. Ich fühle hier die Kälte recht unangenehm, aber ich konnte doch nicht länger wegbleiben. Wir haben schon mehrere Besprechungen u. Kommissionen wegen der geplanten Kordofan-Expedition abgehalten. Resultat aber ist: Die sprachliche Expedition wird verschoben auf den Herbst 1915, es ließ sich die Sache zu meinem Verdruß nicht anders machen. Uebrigens hat DrCzermak,10 Junkers Assistent, in diesem Winter in Kairo durch den Kordofannubier Samuel sehr schöne Resultate erzielt, die er mir jetzt bearbeitet. |4| So viel ich sehe wird die afrikanische Linguistik an Dr Czermak einen ganz tüchtigen Arbeiter u. Forscher erhalten. Er besitzt viele Kenntnisse, hat einen klaren Verstand, viel Eifer und – ein gutes Ohr.
Nun auf Wiedersehen bei Philippi, es grüßt Sie herzlichst
Ihr L Reinisch
1 Vgl. HSA 09318.
2 Georg Schweinfurth (1836-1925), russisch-baltendeutscher Afrikaforscher; vgl. HSA 10440-10451.
3 Sollte hier die „Berberische Hiatustilgung“, Sitzungsberichte d. Wien. Ak. 182, 1916, 1-60 gemeint sein?
4 Maximilian Bittner (1869-1918), österr. Orientalist, seit 1906 Wiener Ordinarius, jedoch zeitweise an die Konsularakademie abgeordnet.
5 Ferdinand L. von Andrian-Werburg (1835-1914), österr. Geologe, am 10.4.1914 in Nizza verstorben.
6 Vgl. L. Schroeder, „Ferdinand von Andrian. Gedenkrede, gehalten von Prof. Leopold Schroeder in der außerordentlichen Versammlung am 13. Mai 1914“ , Mitt. Anthropolog. Ges. Wien, 45, 1915.
7 Leopold von Schroeder (1851-1920), deutschbaltischer Indologe, ab 1899 Prof. in Wien; vgl. HSA 10205-10230.
8 Pankraz, Servaz, Bonifaz (12.-14. Mai).
9 Bezeichnung für den 15. Mai.
10 Wilhelm Czermak (1889-1953), österr. Afrikanist und Ägyptologe, zeitweise wissenschaftliche Hilfskraft bei den Sprachstudien des Kordofān-Nubischen Dialektes der Wiener Akademie; vgl. auch HSA 02220.