Leo Reinisch an Hugo Schuchardt (126-09315)
von Leo Reinisch
an Hugo Schuchardt
14. 03. 1914
Deutsch
Schlagwörter: Universität Wien Universität Leipzig Editionsphilologie Hebräisch Müller, David Heinrich von Torczyner, Harry Geyer, Rudolf Rhodokanakis, Nikolaus Schweinfurth, Georg Wien Leipzig Graz Mali Lošinj Lussino Schuchardt, Hugo (1914)
Zitiervorschlag: Leo Reinisch an Hugo Schuchardt (126-09315). Wien, 14. 03. 1914. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2021). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.8943, abgerufen am 01. 10. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.8943.
Wien, 14.3.1914
Lieber Freund,
Zur Vollendung Ihrer Arbeit1 meine herzlichste Gratulation. Was nun mich betrifft, so erklärt Prof. Sachs2 mein rechtes Auge wieder für ganz normal, das linke etwas gebessert. Daher noch immer nicht viel lesen oder schreiben!
Ihren Ärger wegen Berufung von Brecht3 nach Wien geben Sie nur auf. Der Verlauf war dieser: von der Fakultät war Köster4 in Leipzig in Vorschlag gebracht worden. Köster lehnte ab, empfahl aber wärmstens Brecht zu berufen. Da nun Sauer nicht zu haben ist u. di Wiener Gelehrten: Jelinek, Arnold (: ehedem Levison) u. Weiler5 der heiligen Nation angehören, so blieb nichts andres zu tun als Brecht zu nehmen.
Mit der Ersetzung der Stelle von DH Müller6 hat es Schwierigkeiten. Ungnad7 wurde nur in Vorschlag gebracht, weil er seit Jahren Hebräisch liest. Torczyner8 ist sehr tüchtig, aber erst habilitiert, er ist Zionist. In der Abstimmung wurde Geier9 in den Hintergrund geschoben. Mit Geier bin ich befreundet, schätze ihn als Gelehrten u. Menschen sehr hoch, aber Müller kann er nicht ersetzen, da er lediglich Arabist ist u. speziell nur arabische |2| Dichter kultiviert. Aber mea pace! Ich habe mich nicht in die Angelegenheit eingemischt, von mir aus kann man den Pabst berufen.
Gerne, sehr gerne hätte ich es gesehen, wenn Rhodok. sein Ordinariat erlangt hätte.10 Ich war ja seiner wegen auch im Ministerium. Was sagte man mir? „Ja damit hat es keine Eile; Rhod. ist aus Graz nicht wegzubringen, geht uns nicht verloren, da kann man noch etwas sparen“. Ich habe meine spitzen Bemerkungen getan, aber meine Pfeile sitzen nicht.
Schweinfurth11 hat auch mir Andeutungen gemacht, allein er hat nicht geschrieben, daß er in diesem Frühjahr über Wien komme. Es täte mir leid, da ich in einer Woche nach Lussin piccolo fahre u. erst Anfang Mai wieder nach Wien komme. Ich würde also Schweinfurth nicht sehen.
Ich gehe nach Lussin hauptsächlich, weil es gänzlich staubfrei u. die Seeluft meinem Lungenkatarrh (Asthma) stets eine Erleichterung bietet. Wenn nur die Unterkunft |3| auf Lussin eine bessere wäre u. di Küche in den Hotels so viel zu wünschen übrig liesse. In Brioni ist man ja viel besser aufgehoben, was Wohnung, Bedienung u. Kost betrifft, auch fand ich die Preise ganz civil, allein die Luft tut mir in Lussin doch viel besser als in Brioni.
Wenn ich in Graz Nachtquartier kriegen sollte, dann werde ich mir wol erlauben, Sie zu besuchen.
Mit herzlichsten Grüßen
Ihr L Reinisch
1 Vermutlich Schuchardt, Die Sprache der Saramakkaneger in Surinam.,Amsterdam: Johannes Müller, 1914.(Verh. d. K. Akad. v. Wet. te Amsterdam, Afd. Letterkunde. Nieuwe Reeks, Deel XIV N° 6, III-XXXV, 1-121).
2 Moritz Sachs (1865-1948), österr. Ophthalmologe an der Univ. Wien.
3 Walther Brecht (1876-1950), deutscher Germanist, von 1914 bis 1926 Wiener Ordinarius, danach in Breslau.
4 Albert Johannes Köster (1862-1924), o. Prof. für Neuere Deutsche Sprache und Literatur an der Philosophischen Fakultät der Universität Leipzig.
5 Max Hermann Jellinek (1868-1938), germ. Linguist u. Editionsphilologe; Alexander von Weilen (1863-1918), Ordinarius für neuere deutsche Literaturgeschichte; Robert Franz Arnold, urspr. Levisohn (1872-1938), Literaturhistoriker u. Bibliothekar.
6 David Heinrich (von) Müller (1846-1912), österr. Semitist; vgl. HSA 07560-07566.
7 Arthur Ungnad (1879-1947), deutscher Orientalist, wirkte im Königlichen Museum Berlin, lehrte in Jena und Greifswald.
8 Harry Torczyner (1886-1973), urspr. Naftali Herz Tur-Sinai, Semitist u. Bibelexeget.
9 Gem. ist wohl Rudolf Geyer (1861-1929), Orientalist; er kam jedoch zum Zug und wurde ordentlicher Professor der Semitistik und Vorstand des Orientalischen Instituts.
10 Rhodokanakis erhielt es 1917 in Graz, wo er bis zu seinem Tode blieb.
11 Georg Schweinfurth (1836-1925), russisch-baltendeutscher Afrikaforscher; vgl. HSA 10440-10451.