Leo Reinisch an Hugo Schuchardt (117-09306)
von Leo Reinisch
an Hugo Schuchardt
30. 09. 1913
Deutsch
Schlagwörter: Rhodokanakis, Nikolaus Müller, Wilhelm Max Schäfer, Heinrich Wien Graz
Zitiervorschlag: Leo Reinisch an Hugo Schuchardt (117-09306). Mali Lošinj, 30. 09. 1913. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2021). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.8934, abgerufen am 26. 09. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.8934.
Lussin piccolo 30.9.1913
Lieber verehrter Freund,
So sehr ich befriedigt darüber bin, wieder wolauf zu sein, ebenso bedaure ich es daß Sie zu keinem rechten ungestörten Genuß des Lebens kommen können. Ihr Schreiben vom 25. wofür ich bestens danke, hat mich deshalb recht betrübt u. ich muß doch immer wieder sagen: di ärztliche Kunst steht auf recht schwachen Füßen. Ich setze nemlich voraus daß Sie doch wol Ärzte zu Rat gezogen haben. Speziell was Sie das „steirische Wappen“ nennen,1 darüber war ich der Ansicht daß man jetzt infolge der Wagner’schen Methode dieses Uebel gründlich beseitigen kann und zwar ohne Operation.
Sie fragen ob ich nicht an einer Uebersiedelung von Wien nach Graz denke. Daran habe ich vor zehn Jahren gedacht u. hätte vielleicht gut daran getan; heute ist’s wol zu spät u. steht es nicht für die Mühen eines Umzuges u. außer Ihnen und Rhodok.2 habe ich in Graz gar keine Ansprache, u. dazu kommt daß ich in der Sprachenkommission der Akademie doch noch viel zu tun habe.
W. Max Müller’s Stillschweigen Ihnen gegenüber weiß ich mir doch etwas zu erklären, er wird Ihnen aber antworten, wenn seine Sorgen sich einiger maßen gelegt haben.3 Ich besitze von ihm ein Schreiben vom August u. da teilt er mir kurz mit daß er seit Wochen von der Krankheit seines Sohnes u. seiner Frau gebunden ist u. den Sohn doch verlieren und die Frau schwer retten wird, dazu noch allerlei andere Bedrängnisse ihn beängstigen. Von seinem Artikel über die „Sudansprachen“ erwähnt er nur kurz daß er ihn an die OLZ vor einiger Zeit geschickt habe.4 In meiner |2| Antwort an ihn fragte ich, ob er Ihre Sendung erhalten habe. Das erinnerte ihn wol daran daß er Ihnen noch Entgegnung schuldig ist. Wenn Sie wirklich zwei Exemplare seines Aufsatzes besitzen, dann würde ich Sie doch um eines bitten.
Mit den Kenzitexten von Junker-Schäfer5 bin ich gar nicht besonders zufrieden, d. h. ich übe an den Texten nicht Kritik, aber ich bin unzufrieden daß die beiden Herren nur partienweise publizieren. Jetzt sind di Spiele abgeschlossen, nun soll man warten – wie lange? – auf eine andere Partie in einem folgenden Jahr. Ich habe Junker geschrieben u. da antwortet er aus Berlin, er werde Schäfer veranlassen, eine folgende Partie mit ihm noch dieses Jahr durchzugehen u. mir das Manuscript Ende Oktober einsenden. Die kleinen Buchstaben über dem Text sind auch mir ein Greuel, aber die Herren J.-Sch. wollen sich eben an Gewissenhaftigkeit hervortun; auch in der Wissenschaft gibt es Moden.
Die Korrekturbogen zu den kordofanischen Aufzeichnungen schicke ich Ihnen in der Anlage. Mögen Sie daraus kluger werden als ich! Di Bogen bitte ich nicht zurückzusenden.
Herzlichst
Ihr
L. Reinisch
1 „Der Kropf galt früher in der Steiermark beinahe als ein zweites ,Landeswappen‘. Vielen Österreichern und vor allem auch vielen unserer steirischen Landsleute dürfte es nicht bekannt sein, dass die Forschung nach den Ursachen eines Kropfes innerhalb der österreichisch-ungarischen Monarchie gerade in der Steiermark ihren Anfang nahm. Es war der spätere Nobelpreisträger Univ. Prof. Dr. Julius Wagner-Jauregg (1857-1940), der mit seinen bahnbrechenden Arbeiten nach den Ursachen und den Heilungsmöglichkeiten für diese Krankheit im Gebiet von Zeltweg begann und damit ein trauriges Kapitel der damaligen sozialen und medizinischen Verhältnisse, von welchem vor allem die ländlichen Bevölkerung betroffen war, aufgriff. (Austria-Forum).
3 HSA 07588 vermerkt einen Brief Müllers Philadelphia, 19.9.1913!
4 „Die Sudansprachen“ , Orientalistische Literaturzeitung 16, 1913, Sp. 387-390 (Reinischs Forschungen werden positiv hervorgehoben!!).
5 Hermann Junker / Heinrich Schäfer, Nubische Texte im Kenzi-Dialekt, Bd. 1, Wien 1921 (Akademie der Wissenschaften, Wien, Kommission zur Erforschung von Illiteraten Sprachen Aussereuropäischer Völker: Schriften; 8).