Leo Reinisch an Hugo Schuchardt (116-09305)

von Leo Reinisch

an Hugo Schuchardt

Mali Lošinj

22. 09. 1913

language Deutsch

Schlagwörter: language Baskisch Gabelentz, Hans Georg Conon von der Wien Schuchardt, Hugo (1913) Gabelentz, Georg von der (1894)

Zitiervorschlag: Leo Reinisch an Hugo Schuchardt (116-09305). Mali Lošinj, 22. 09. 1913. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2021). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.8933, abgerufen am 24. 09. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.8933.


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Lussin piccolo 22.9.1913. Poste restante

Lieber Freund,

Wenn man Schuchardt liest, ob man mit ihm übereinstimmt oder nicht, hat man niemals umsonst gelesen, es kommen einem neue Ideen u. man wird mit einem Wort „angeregt“. Ich lese an Ihrer Schrift1 schon einige Tage u. kann damit nicht fertig werden, ich muß immer wieder vom neuen beginnen. Ich bekomme stets andere Eindrücke. Warum ich aber nicht ganz ins Reine komme, darvon ist folgende Ursache: ich habe nicht genügend Bücher bei mir u. was di Hauptsache ist, ich bin in vielen Dingen die Sie berühren, ein vollständiger Analphabet: ich kenne nicht Baskisch u. was fehlt mir nicht alles? Daß die Basken nicht mit den Chamiten in Berührung standen, mittelbar oder unmittelbar, das scheint wol sicher zu sein: ob nähere Verwandtschaft, darüber müßte nach meiner Idee die Grammatik, der Bau der Sprache Auskunft geben u. Baskisch kann ich nicht. Ich habe seinerzeit, als ich das Gabelenz’sche Buch studierte,2 eine baskische Grammatik durchgegangen, aber gegenwärtig weiß ich davon so viel wie nichts. Komme ich nach Wien zurück, dann muß u. werde ich wieder eine baskische Grammatik studieren, so weit hat mich Ihre Schrift doch genötigt.

|2| Ich bin nun wieder gesund, das Klima hat mir gut getan, obwol seit fast einer Woche auch hier schlechteres Wetter eingetreten ist, allein die Luft ist doch sehr gut. Bevor die heftigen Winde aufgetreten sind, fuhr ich täglich ein Paar Stündchen in einem Kahn auf dem Meer u. di Seeluft hat mich recht erquickt. Das ist di beste Inhalation: auf dem Meere zu fahren.

Ich bleibe wol noch hier bis in den Anfang Oktober hier u. kehre dann allmählich wieder in mein Winterquartier ein, obwol ich Wien nicht allzu sehr liebe.

Wie geht es Ihnen? Da Sie im Vergleich zu mir noch ein Jüngling sind,3 so hoffe ich, es werde Ihre Gesundheit fest gegründet sein, wenn auch kleine Leiden Sie zeitweise inkommodieren. Jedenfalls wünsche ich Ihnen das beste Wolergehen.

Ich muß schließen weil die Augen den Dienst versagen. Wenn ich nach Wien komme, muß ich mich untersuchen lassen. Meine Augengläser taugen nicht mehr, ich gehe häufig ohne diese spazieren, weil mir die Augengläser Kopfweh verursachen.

Mit den herzlichsten Grüßen u. Wünschen

Ihr
L Reinisch


1 Schuchardt, „Baskisch-hamitische Wortvergleichungen“, Revista Internacional de Estudios Vascos / Revue International des Études Basques 7, 1913, 289-340.

2 Hans Conon von der Gabelentz, Die Verwandtschaft des Baskischen mit den Berbersprachen Nordafricas. Hrsg. von Albrecht Graf von der Schulenburg, Braunschweig: Sattler, 1894.

3 Schuchardt war zehn Jahre jünger als Reinisch.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 09305)