Leo Reinisch an Hugo Schuchardt (100-09289)

von Leo Reinisch

an Hugo Schuchardt

Sankt Stefan ob Stainz

22. 04. 1913

language Deutsch

Schlagwörter: Kaiserliche Akademie der Wissenschaften (Wien) Universität Wien Wiener Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes Junggrammatiker Ausnahmslosigkeit der Lautgesetze Rhodokanakis, Nikolaus Müller, Wilhelm Max Junker, Heinrich Meyer-Lübke, Wilhelm Wien Graz Schuchardt, Hugo (1913) Schuchardt, Hugo (1885)

Zitiervorschlag: Leo Reinisch an Hugo Schuchardt (100-09289). Sankt Stefan ob Stainz, 22. 04. 1913. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2021). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.8917, abgerufen am 09. 09. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.8917.


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Reinischhof 22.4.1913

Liebster bester Freund,

Erst gestern Abend kam mir Dein [sic] nach Lussin an mich gerichteter Brief vom 6.4 in die Hände – was er für Umwege gemacht hat! Der Brief hat mir als solcher Freude gemacht u. ich danke Ihnen herzlichst, aber darüber bin ich gar nicht froh, daß Sie nicht ganz wol sind; hoffentlich sind Ihre Zustände nicht unerträglich. Der rasche Gewitterwechsel im April setzt Ihnen aber zu. Mit Recht machen Sie mir einen leichten Vorwurf, daß ich von Lussin aus nicht geschrieben habe; ich bereue mein Stillschweigen u. zur teilweisen Entschuldigung teile ich nur mit, daß ich in der ersteren Zeit meines Aufenthaltes noch recht elend war u. später als ich mich woler u. wol fühlte, da fand ich vor lauter Nichtstun keine Zeit Briefe oder Karten zu schreiben. Also bitte mich zu entschuldigen, ich sehe mein Verfehlen ja ein! |2| Wegen Rhodokanakis brauchen Sie sich nicht zu bemühen, ich schlage ihn also vor, lasse einige Freunde mit unterfertigen u. erbitte mir nur die Erlaubnis aus Ihren Namen auch zu unterschreiben, natürlich mit dem Vermerk Ihrer Zustimmung.1 Woher Rhodok. aus Wien Ihnen die Mitteilung bringen konnte, es gehe mir gut, nämlich: ich hätte mich in Lussin prächtig erholt, diese Mitteilung kann er nur von Prof. A. Weilen2 erhalten haben, mit dem ich in Lussin ein paarmal gesprochen habe, denn Briefe habe ich ja nicht nach Wien geschrieben wie fast nirgend wohin.

Zur Fertigstellung von Meroïtica gratuliere ich,3 sie erscheinen wol im 2. Heft der WZKM. Vor einigen Tagen erhielt ich von Prof. W. Max Müller in Philadelphia4 einen Brief, in welchem auch folgende Bitte enthalten war, ob ich ihm einen Separatabdruck Ihres Aufsatzes: Dinka u. Bari zu verschaffen in der Lage sei. Besitzen Sie noch ein Exemplar?5 Im bejahenden Fall bitte ich ein Exemplar zu senden an: Prof. W. Max Müller, Philadelphia Pa, 4308 Marnet str.

|3| Sobald ich nach Wien komme, werde ich von Prof. Junker6 erfahren, wie weit die Reinschrift der Nubica7 gediehen ist; wenn möglich werde ich den Druck derselben für die Schriften der Sprachenkommission in Angriff nehmen lassen. Vor Allem aber bitte ich Sie eindringlich, doch zu den Walen nach Wien zu kommen; Sie werden sich doch wegen des dämlichen M.-L.8 nicht abhalten lassen; Sie brauchen ihn ja gar nicht zu sprechen, wie auch ich es nicht tue: Ich freue mich schon recht sehr mit Ihnen einige Stunden verplaudern zu können.

Ich fahre am 5. Mai von hier nach Wien. Für den Fall, daß ich in Graz die Nacht über bleiben sollte, möchte ich Sie fragen, ob Sie mit mir im Hotel Wieseler 9 das Abendbrot nehmen würden, Intra um 7 Uhr Abend?

Also auf Wiedersehen! Mit den herzlichsten
Grüßen u. Wünschen

Ihr
L Reinisch

Reinischhof bei St. Stefan ob Stainz.


1 Es geht um die Nachfolge Müllers in der Wiener Akademie, vgl. HSA 09285.

2 Alexander von Weilen (1863-1918), Prof. für neuere Literatur in Wien, Theaterkritiker u. Feuilletonist.

3 Schuchardt, „Das Meroitische“, Wiener Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes 27, 1913,,163-183.

4 William / Wilhelm Max Müller (1862-1919), deutsch-amerik. Orientalist, lehrte ab 1888 an der Univ. of Pennsylvania; vgl. HSA 07587-07589.

5 Schuchardts Korrespondenz mit Müller, HSA 07587-07589.

6 Hermann Junker (1877-1972), kathol. Priester, deutsch-österr. Ägyptologe, leitete im Winter 1909/10 die erste offizielle österreichische Grabung in dem kleinen Ort Tura in der Nähe von Kairo aus, wo reiche prähistorische Funde gemacht wurden.

7 Nicht klar, worum es sich genau handelt.

8 Wilhelm Meyer-Lübke (1861-1931), Schweizer Romanist, der in Zürich, Jena, Wien und Bonn lehrte. M-L. war Vertreter der junggrammatischen Richtung und damit ein Vertreter der Hypothese von der „Ausnahmslosigkeit der Lautgesetze“, die Schuchardt nicht teilte, vgl. seine Schrift Über die Lautgesetze. Gegen die Junggrammatiker.

9 Vermutlich „ Hotel Wiesler“, Graz, Grieskai 4-8, eröffnet 1909 (mit Blick auf die Mur).

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 09289)