Leo Reinisch an Hugo Schuchardt (82-09272)
von Leo Reinisch
an Hugo Schuchardt
09. 10. 1912
Deutsch
Schlagwörter: Kaiserliche Akademie der Wissenschaften (Wien) Nubische Sprachen Meroitisch Schilluk Griffith, Francis Llewllyn Wien Graz Griffith, Francis Llewellyn (1912) Schuchardt, Hugo (1912)
Zitiervorschlag: Leo Reinisch an Hugo Schuchardt (82-09272). Sankt Stefan ob Stainz, 09. 10. 1912. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2021). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.8899, abgerufen am 12. 09. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.8899.
Reinischhof 9.10.1912
Bester Freund,
Schönsten Dank für Brief vom 4. u. Karte vom 6. d. M.
Es tut mir furchtbar leid, daß Ihr physischer Zustand sich nicht bessern will; ja das entsetzliche Wetter setzt ja fast allen Leuten zu, aber das kann ja doch nicht ewig so fortdauern. In meinem langen Leben habe ich noch keinen solchen Sommer u. Herbst durchgemacht; seit August bis heute zähle ich hier auf etwa 7 bis 8 Tage Sonne, sonst Nebel, Regen, Sturm u. abwechselnd Schnee u. empfindliche Kälte (2° R. unter 0)! Geht die Nordseite der Erde einer Glazialzeit entgegen? Ich fahre am 14. nach Wien, um das Winterquartier zu beziehen. Ob ich in Graz mich über Nacht aufhalte, weiß ich noch nicht, möchte aber auf keinen Fall Sie veranlassen, Ihnen eine Störung zu bereiten, um so weniger, als Sie gerade Abends gern zu Hause sind, also mich im Hotel nicht ohne Störung Ihrer Gewonheit mich besuchen können, ich aber bei der kurzbemessenen Zeit nicht gut nach der entlegenen Fuchsgasse1 kommen kann, da ich noch überdies in der Stadt kleinere Geschäfte erledigen möchte, falls ich in Graz nächtige. Ich bin die ganze Zeit über, so lange ich hier bin, wolauf u. gesund, ohne Schnupfen, der sonst bei mir chronisch war; ob es mir auch in Wien so gut gehen wird, das steht dahin, ich will es hoffen.
|2| Griffith2 schreibt mir daß die Meroitic Inscriptions II3 an mich abgegangen seien. Sollten diese nicht in der Akademie vorhanden sein, so stehen Ihnen die meinigen zur zeitweiligen Verfügung, da ich diesen gegenwärtig nicht meine Zeit widmen kann.
Sie glauben also nicht an meine Verbindung von Altnub. ṅiss u. قداسة ,weil letzteres ja im jetzigen Nuber existiert: gudes u. mug-dis. Solche Erscheinungen sind aber nicht selten, daß ein eingebürgertes u. akklimatisiertes Lehnwort wieder neu entlehnt wird, besonders vielleicht aus frommem Eifer. In gniss, gnids4 ist das n jedenfalls dann sekundär, wie so häufig im Nubischen, wo sogar das sekundäre n den Guttural oder Laryngal verdrängt, wie z. B. in: nabē (Kopt. NaBE) für FaΠE, Ti [einscannen]: Sünde. Indess ich will kein Glaubensdogma aufstellen.
Maža Sonne, lautet im AN. 5 und entspricht in dieser Form dem masil (KD). Ak, ay (M) Mund, hat im Plural agl-î, dessen Stamm also = agil (KD), im Kordofan-Nuba kann ich dafür die Formen oglu, ogul aul (d. i. a[g]ul).
Der Zusammenhang der Begriffe: essen u. rechte (Hand) in afrik. Sprachen ist bisher Niemandem aufgefallen, |3| u. ich finde Ihre Verbindung sehr interessant.6 Ich kenne aber nur Dinka u. Nuer cam essen, u. cam linksx) (x Auch im Schilluk: cam essen, u. cāmi links [bei Banholzer]), welcher Gleichlaut mir zwar aufgefallen ist, doch dachte ich nicht an einen inneren Zusammenhang. Äg. wnm essen, u. wnmy rechts, ist auffällig; orwm darf Sie wol nicht stören, ich glaube nicht, daß es zu wnm gehört, sondern zu 7. Semit. יהן gehört wol zu 8.
Herzliche Grüsse u. beste Wünsche für Ihr Wolbefinden
Von
Ihrem
L. Reinisch
1 Reinisch bleibt hartnäckig bei seiner Schreibweise „Fuchsgasse“, vielleicht, weil ihm das gewisse Wortspiele mit Fuchs, Fuchsbau usw. erlaubt.
2 Francis Llewellyn Griffith (1862-1934), britischer Ägyptologe und Philologe in den nubischen, meroitischen und demotischen Sprachen; vgl. HSA 03987-03992.
3 F. L. Griffith, Meroitic Inscriptions 2. Napata to Philae and miscellaneous, London 1912 (Memoir / Archaeological Survey of Egypt, 20).
4 Über gn jeweils ein Bogen.
5 Es folgen koptische Schriftzeichen - siehe gescanntes Original.
6 Schuchardt, „Zusammenhang der Bedeutung von ,rechter (oder linker) Hand‘ mit “essen“, Anthropos 7, 1912, 1059.
7 Es folgen koptische Schriftzeichen - siehe gescanntes Original.
8 Es folgen koptische Schriftzeichen - siehe gescanntes Original.