Leo Reinisch an Hugo Schuchardt (77-09267)

von Leo Reinisch

an Hugo Schuchardt

Sankt Stefan ob Stainz

26. 08. 1912

language Deutsch

Schlagwörter: language Nubische Sprachenlanguage Koptischlanguage Meroitischlanguage Ägyptischlanguage Semitische Sprachenlanguage Hebräisch Lepsius, Karl Richard Wien Meinhof, Carl (1912)

Zitiervorschlag: Leo Reinisch an Hugo Schuchardt (77-09267). Sankt Stefan ob Stainz, 26. 08. 1912. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2021). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.8894, abgerufen am 27. 09. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.8894.


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Reinischhof 26/8 12

Lieber Freund,

Gottlob daß es mit Ihrem Befinden wieder ganz gut steht, was Sie selbst berichten u. ich nur Ihrer regen Forschertätigkeit ansehen kann.

Nun ad medias res: bezüglich der Reiche Napata-Merve glaube ich wol, annemen zu dürfen, daß deren Bevölkerung aus Nubiern bestanden hat, demnach auch die Könige Nubier waren. Die Königsnamen lassen auch diese Anname zu; vgl. Subu-ka, Sabuta-ka, Tahar-ku deren Auslaut mit dem heutigen nubischen Suffix -kon, -ko (mit) wol identisch sein kann. Die Namen bezeichnen also die Könige mit einer speziellen Eigenschaft versehen. Ein späterer König heißt Ẻργαμένης, der nach der heutigen Grammatik zu schliessen Erg-amen-ni „Amonischer Diener“ gelautet haben kann (vgl. Nubaspr. 9.114, pg. 26; Sprachl. Stellung der Nuber, p. 98). Die Volkssprache ist sonach wol die nubische gewesen. Ob aber auch die offizielle u. die Sprache auf den Denkmälern? Da erheben sich doch recht ernste Bedenken. Daß es nicht die Budschasprache 1 gewesen sein kann, was Lepsius2 zu behaupten versucht hat, darüber ist ja kein Wort zu verlieren. Ob ferner das Nubische? Daß die christl. Missionare in nubischer Sprache (mit koptischen Buchstaben) geschrieben haben, ist nun wol nicht zu leugnen. Diese Tatsache beweist aber noch nicht, daß es in ältester Zeit eine nubische Schriftsprache gegeben hat. Die Entzifferung der Meroitischen Denkmäler bei Zugrundelegung der Nubersprache stößt auf zu große Schwierigkeiten. Was also nur? |2| Nepata, Merve ist ja sicher durch thebanische Missionare dem Amonskult gewonnen worden, ob aber erst durch diese gegründet? Es scheint, daß hier schon Handelemporien aus Südarabien (u. Athiopien) bestanden haben. Die Bibel nennt סְבָא 3als Erstgeborenen von Kusch, Kuš aber ist die Bezeichnung für alles Land südlich von Assuan. Die Könige von Axum trugen die gleichen Throninsignien, wie früher die Könige von Merve. Die Zeiten für die Wortableitung in der meroitischen Schrift stimmen überein mit denen in der südarab.-äthiopischen Schrift, ein sehr wahrscheinlicher Fortschritt gegenüber der ägyptischen Schrift. Daraus ist sicher zu erschließen, daß die Sabäischen Handelsleute ein wichtiger Kulturfaktor in Meroa waren. Die Vermutung ist sonach wol nicht kurzweg abzuweisen, daß die merotische Schriftsprache eine semitische gewesen sein kann. Beachtenswert ist auch in dieser Hinsicht die Tatsache, daß in der meroitischen Schrift drei Laryngallaute vorhanden sind, nämlich h, ḩ, ḥ, welche Laute nur der semit. Sprache angehören. Der semitische Einfluß zeigt sich auch in den kuschitischen Königsnamen; vgl. gleich den ersten Königsnamen Tuhanna, worin Taher = semit.טהר ההצ (Nebenform ל זה) + nubischem κα, κῶ, also der mit Glanz, Ruhm behaftete. Ob mit diesem Namen nicht auch im Zusammenhang steht der Name Aṣḥr-Amon, eine Afalform, Glanz d. i. Freudemacher für Amon. Auf Südarabien scheint auch die heutige Bezeichnung für Araber u. dann für weiße Männer überhaupt noch zu erinnern bei den Schilluk, Nurer, Dinka, |3| nemlich buon, obnon, welcher Name vielleicht mit dem Namen Pun in Zusammenhang steht. Dahin gehört wol auch der Name Funĵ, der möglicher Weise aus 4Fnḫ (Φοίνικες) hervorgegangen ist, einem Namen der Pun. Freilich; vermuten läßt sich manches, aber beweisen ist eine andere Sache.

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Eine eigentliche Sahogrammatik habe ich nicht geschrieben, nur eine Skizze in der ZDMG.,5 wovon ich vielleicht noch ein Exemplar in Wien habe, das Ihnen dann geschickt werden soll. Dann „Sprache der Irobsaho“ in den Schriften der W. Akademie,6 wovon ich vielleicht auch noch ein Paar Abzüge habe; auch diese Schrift sollen Sie natürlich bekommen.

Die Ankündigung der Meinhofschen Arbeit über die „Hamitensprache“7 habe ich von der Buchhandlung ebenfalls erhalten – das wird was Schönes werden! Ich bin gar nicht neugierig auf den Nachweis, wie Ful, Masai u. Nama zu den semitischen Sprachen gezählt werden sollen. Vom großen Blödsinn: Hamitisch mit 47 Sprachen u. 71 Dialekten u.s.w. will ich gar kein Wort verlieren.

NB. Areika besitze ich;8 wollen Sie das Buch einsehen?

Mit herzlichen Grüßen

Ihr
L Reinisch


1 Bedscha oder Budscha ist eine Sprache, die von etwa 1,2 Millionen Menschen vom Volk der Bedscha in Sudan, Ägypten und Eritrea gesprochen wird.

2 Karl Richard Lepsius (1810-1884), deutscher Ägyptologe; vgl. HSA 06410-06418.

3 Die diakritischen Zeichen fehlen!

4 Es folgen koptische Schriftzeichen - siehe gescanntes Original.

5 Reinisch, „Die Sahosprache“, ZDMG 1874, 415-464 .

6 Reinisch, „Die Sprache der Irob-Saho in Abessinien“, Akademie der Wissenschaften Wien. Philosophisch-Historische Klasse: Sitzungsberichte 90,2, 1878, 89-142 .

7 Carl Meinhof, Die Sprachen der Hamiten nebst einer Beigabe: Hamitische Typen von Felix von Luschan, Hamburg (Abhandlungen des Hamburgischen Kolonialinstituts : Reihe B, Völkerkunde, Kulturgeschichte und Sprachen, 6 u. 9).

8 Areika by D. Randall MacIver and C. Leonard Woolley, Oxford,1909 (Eckley B. Coxe Junior Expedition to Nubia: Eckley B. Coxe Junior expedition to Nubia; Publications of the Egyptian Department of the University Museum / University of Pennsylvania, 1) .

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 09267)