Leo Reinisch an Hugo Schuchardt (76-09266)

von Leo Reinisch

an Hugo Schuchardt

Sankt Stefan ob Stainz

10. 08. 1912

language Deutsch

Schlagwörter: Germanistiklanguage Baskischlanguage Nubische Sprachenlanguage Lateinlanguage Albanischlanguage Schilluk Rhodokanakis, Nikolaus Schuchardt, Hugo (1912)

Zitiervorschlag: Leo Reinisch an Hugo Schuchardt (76-09266). Sankt Stefan ob Stainz, 10. 08. 1912. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2021). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.8893, abgerufen am 29. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.8893.


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Reinischhof 10. Aug. 1912.

Lieber Freund,

Ihr Brief vom 1. d. M. u. die Karte betreff Westermann sind mir heute zugegangen. Das kommt daher, weil der Knecht jetzt täglich nach Ligist zu fahren hat u. erst gestern wieder Fracht nach Stainz hatte. Adressieren Sie also jetzt nach Ligist!

Die Analogie in der Konstruktion des baskischen Verbums mit der des nubischen Verbums ist ganz richtig. Die Grammatik aller Völker ist ja ganz logisch, wenn auch nicht alle Völker nach den Grundsätzen unserer lateinischen Grammatik ihre Gedanken ausdrücken. Auch für die Abhandlung Tšingurr1 danke ich sehr, wiewol ich vom Baskischen nichts verstehe. Zum Artikel erlaube ich mir nur zwei Bemerkungen. Alban. θεnéguλε kann wol mit L. formicula zusammenhängen, stammt aber wol nicht aus diesem her, sondern mit einer andern italischen, nicht mehr erhaltenen Form; θ kann wohl leicht zu f werden, nicht aber f aus θ. Ferner will mir nicht in den Kopf, daß nur einem i sich ein (t)ši entwickeln könne, wol aber ein y, i aus einem Zischlaut. Laute werden durch Gebrauch nicht kräftigem, sondern schwächer.

|2| Hinsichtlich Westermann tut es mir nur leid, daß er durch den verdrehten Meinhof zu linguistischen Spekulationen, zu denen ihm alle Voraussetzungen fehlen, verführt worden ist; dagegen ist alles sehr gut, was er in den ihm geläufigen Sprachen grammatisch arbeitet. Wie würde ich mich über Banholzer2 freuen, wenn er das Schilluk so gut darzustellen verstände, als W. das Ful u. Ewe. Banholzer bearbeitet das Schilluk, wie etwa wenn ein Deutscher Bierwirt eine deutsche Germanistik bearbeiten wollte.

Die Frage wegen Uebersiedlung von Rhodokanakis ist noch nicht aktuell, aber Ihre Bedenken dagegen sind doch wol etwas zu pessimistisch? Was die Glaser’schen Materialien3 betrifft, so ist Rh. ganz sicher der allergeeignetste Mann, der diese am allerbesten zu bearbeiten im Stande ist.

Hoffentlich haben sich Ihre Nerven beruhigt; sollte denn kein Arzt helfend eingreifen können?

Mit dem innigsten Wunsch, daß sich Ihre Gesundheit
heben möge, zeichnet mit den herzlichsten Grüßen

Ihr
L. Reinisch


1 Schuchardt, „Tšingurri“, Revue internationale des Études Basques VI, 1912, 104-110 (das S hat im Original einen Überstrich; die entsprechende Variante fehlt in den üblichen Zeichensätzen und wird hier durch šmarkiert!)

2 Pater Wilhelm Banholzer (1873-1914), FSC [Fratres Scholarum Christianorum], Missionar in Schilluk, aus Rottweil stammend, aus seiner Feder stammen Come vestono e come s'adornano gli Scilluk, Nigrizia 1904 (sonst keine weiteren Publikationen nachweisbar).

3 Eduard Glaser (1855-1908), österr. Forschungsreisender, Orientalist und Archäologe. - Sein schriftlicher Nachlass befindet sich heute im Státní okresní archiv Louny und Regionální muzeum K. A. Polánka v Žatci (Tschechien).

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 09266)