Leo Reinisch an Hugo Schuchardt (74-09264)

von Leo Reinisch

an Hugo Schuchardt

Sankt Stefan ob Stainz

24. 07. 1912

language Deutsch

Schlagwörter: Universität Wienlanguage Semitische Sprachenlanguage Arabischlanguage Massailanguage Hebräischlanguage Nubische Sprachenlanguage Meroitisch Müller, David Heinrich von Hommel, Fritz Rhodokanakis, Nikolaus Griffith, Francis Llewllyn Junker, Heinrich Schäfer, Heinrich Wien Graz Griffith, Karanòg (1912)

Zitiervorschlag: Leo Reinisch an Hugo Schuchardt (74-09264). Sankt Stefan ob Stainz, 24. 07. 1912. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2021). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.8891, abgerufen am 01. 10. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.8891.


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Reinischhof 24.7.1912

Lieber Freund

Ihr Schreiben vom 23. ist mir heute Nachm. zugegangen u. ich will es sofort dankend erwidern. Könnte ich Ihnen gesunde Nerven schaffen, welche Arbeitskraft würde da der Wissenschaft acquiriert werden! Leider vermag die medizinische Wissenschaft nicht allzuviel, sonst ginge es auch bei D. H. Müller1 leichter, der mitten aus der Schaffenstätigkeit herausgerissen wird. Sein Šhauri-Wörterbuch ist bis zum 6. u. 7. Bogen gediehen, wer setzt es fort? und die Šhauri-Grammatik, die noch gar nicht begonnen ist?2 Was ist mit den Glaseriana?3 Ein Riesenmaterial! Außer Hommel4 u, Rhodok.5 gibt es keinen Fortsetzer dieser Publikation. Hommel nach Wien zu rufen ist etwas Mißliches, der richtige Mann wäre wol Rh. Er wünscht aber, wie er mir sagte, nicht gerne wegen seiner Gesundheit, aber ich glaube, wenn er im Cottage6 oder Hitzing7 wohnte, so wäre er in gesunder Luft u. so gut wie in Graz aufgehoben, und würde ihm das erhöhte Gehalt sehr zu statten kommen, auch das Nebeneinkommen wäre für ihn sehr beträchtlich. Ich glaube nicht, daß er in Wien schlimmer daran wäre, als in Graz.

Was DH Müller betrifft, so haben Sie wohl recht, wenn Sie sagen, daß die leidige Sache mit Schlögl8 ihn seelisch sehr angegriffen hat; ich weiß es, habe ihm aber frucht- u. erfolgungslos zugeredet.

|2| Daß Sie Johnston’s Uganda-Protectorat9 nur 10 Tage behalten dürfen, ist ganz lächerlich, behalten Sie das Buch so lange Sie es brauchen – mit meiner Verantwortung!

Das das semitische Alef prosth. aus einem Demonstrativ hervorgegangen ist, [ist] auch meine Ueberzeugung u. wenn ich nicht irre, habe ich dieses an einer Stelle meines Fürwortes10 auch Ausdruck gegeben. Statt dieses Alef im klassisch. Arabisch findet sich im Masai: ha-, han- und hahr, auch im Arabischen sind sporadisch noch han- u. hal- erhalten und stimmen diese mit dem hebräischen Artikel ha- (han-, hal-) überein. Hervorgegangen ursprünglich aus dem Verb. [einscannen] = G. N. S: vgl. den Somali-Artikel kān, an (han) demonstrativ.

Nubischti Rind erscheint in dieser Form auch Suk. ti (vor Konsonanten), sonst tayni pl. tič, ebenso Schill. , sonst dyari pl. doc, ebenso im Kavirondo u. Auwok (fūr).

Von Griffith11 haben Sie vermutlich nur das eine Buch, das vor ein oder zwei Jahren erschienen ist; im Juni bekam ich ein weiteres, worin mehr über die Meroitische Schrift gehandelt wird,12 ich weiß aber jetzt den Titel des Buches nicht u. ich habe es auch nur sehr flüchtig durchgesehen, ich bekam es gerade vor meiner Abreise.

|3| Die Übersetzung des Lebens des hl. Menas von Budge kenne ich nicht, wol aber die größere Schrift: Budge, Texts relating to St. Menas of Egypt in a Nubian Dialect, London 1909, Brit. Mus.13

Junker- Schäfer haben aus Nubien (Gebiet von Kenzi) reichhaltiges Material sprachwissenschaftlich u. folkloristisch von grosser Bedeutung mitgebracht;14 dieses Material, welches Junker veröffentlichen soll u. wird, dürfte vielleicht in einem Jahre fertig gestellt sein, allein dies Evangelium Mariae, das Schäfer zur Herausgabe übernommen hat, wird noch etwas auf sich warten lassen.

Nun aber schließe ich mein Geschwätz
u. grüsse Sie von ganzem Herzen

Ihr
L. Reinisch


1 David Heinrich von Müller (1846-1912), österr. Orientalist, bes. Semitist, Prof. für Semitische Sprachen in Wien; vgl. HSA 07560-07566.

2 Keine Bibliotheksnachweise.

3 Eduard Glaser (1855-1908), österr. Forschungsreisender, Orientalist und Archäologe.

4 Fritz Hommel (1854-1936), deutscher Orientalist; vgl. HSA 04846-04850.

5 Nikolaus Rhodokanakis (1876-1945), griechisch-österreichischer Semitist und Arabist. – Bezug unklar; Serdar Aslan, Bibliographie Nikolaus Rhodokankanis ( https://islam-akademie.de/index.php/bibliographie-terminologie/66-autoren-1941-1950/751-nikolaus-rhodokanakis-1876-1945-bibliographie) weist keine Rez. von Reinisch nach.

6 Wien, Cottage-Viertel.

7 Hietzing, Wien, 13. Bezirk, in der Nähe von Schloß Schönbrunn.

8 P. Nivard (Johann) Schlögl (1864-1939), österr. Theologe u. Orientalist, seit 1908 Wiener Ordinarius. Hier ist gem. Schlögl, Audiatur et altera pars: Antwort auf Hofrat David Heinrich Müllers Angriff in der Wiener Zeitschrift für Kunde des Morgenlandes 1911, Seite 335-354. Zum Aufbau von Ezechiel, Kapitel 20; zugleich Bericht über die Vorentdeckung der von D. H. Müller 1896 entdeckten Strophentheorie durch Dr. Ernst Meier Anno 1856, Wien: Selbstverlag, 1912.

9 Harry Hamilton Johnston, The Uganda protectorate, an attempt to give some description of the physical geography, botany, zoology, anthropology, languages and history of the territories under British protection in East Central Africa, ..., London / New York: Hutchinson / Dodd, Mead, 1902 (1018 S.!) .

10 Reinisch, Das persönliche Fürwort und die Verbalflexion in den chamito-semitischen Sprachen, Wien: in Komm. bei A. Hölder (Kais. Akad. d. Wiss. Schriften der Sprachenkommission Bd. 1, 1908). ; Reinisch, Die sprachliche Stellung des Nuba, Wien 1911 (Akademie der Wissenschaften Wien / Kommission zur Erforschung von Illiteraten Sprachen Aussereuropäischer Völker: Schriften der Sprachenkommission; 3) .

11 Francis Llewellyn Griffith (1862-1934), britischer Ägyptologe und Sprachwissenschaftler in den nubischen, meroitischen und demotischen Sprachen; er lehrte als Prof. in Oxford; vgl. HSA 03987-03992.

12 Francis Llewellyn Griffith, Meroitic Inscriptions, London 1912 (Memoir / Archaeological Survey of Egypt, 20).

13 Ernest A. Wallis Budge, Texts relating to Saint Mêna [Menus Sanctus] of Egypt and canons of Nicaea in a Nubian dialect: with facs, London: British Museum, 1909 .

14 Heinrich Schäfer / Heinrich Junker, Bericht über die von der Königlichen AdW in den Wintern 1908/09 und 1909/10 nach Nubien entsendete Expedition, [s. l.] 1910 (Sonderdr. in: Sitzungsber. d. königl. preuss. AdW. XXXI) ; vgl. auch Clemens Gütl (Hrsg.), Hermann Junker. Eine Spurensuche im Schatten der österreichischen Ägyptologie und Afrikanistik, Göttingen: Cuvillier ( https://cuvillier.de/de/shop/publications/7584).

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 09264)