Leo Reinisch an Hugo Schuchardt (63-09253)
von Leo Reinisch
an Hugo Schuchardt
03. 05. 1912
Deutsch
Schlagwörter: Afrikanistik Universität Wien Kaiserliche und Königliche Hof-Bibliothek (Wien) Kaiserliche Akademie der Wissenschaften (Wien) Junker, Heinrich Jagič, Vatroslav Ignaz Schmidt, Wilhelm Wessely, Carl Oberhummer, Eugen Wien Kairo Schuchardt, Hugo (1912)
Zitiervorschlag: Leo Reinisch an Hugo Schuchardt (63-09253). Wien, 03. 05. 1912. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2021). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.8880, abgerufen am 30. 09. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.8880.
Wien 3.5.1912
Lieber Freund,
Ich bin nun seit ein paar Tagen wieder in Wien u. vollauf beschäftigt teils mit der Fertigstellung des Drucks meiner Nuba-Arbeit, wovon 6 Bogen ausgedruckt sind u. circa 4 noch nachfolgen1 – teils mit verschiedenen Kommissionen in der Akademie, vornemlich mit der egyptischen Kommission. Prof. Junker2 hat 59 Kisten von den Ausgrabungen in Turah3 bei Kairo an das Museum abgeliefert, alle Objekte der 1. und 2. Dynastie angehörig, einige Gräber gaben prähistorische Ausbeute.
Auf Ihre Bemerkungen bezüglich des Masai wird Ihnen mein Buch über das Nuba einige Antwort geben.
Was nun Meringer betrifft,4 so habe ich sein Verhalten mir nur zu erklären versucht, dasselbe aber nicht entschuldigt. Zu entschuldigen ist es ja überhaupt nicht u. auch Jagić,5 Müller6 u. a. stimmen mit mir überein, daß sein Betragen gegen Sie ein geradezu grausliches ist.
Ihre Äußerung bezüglich P. Schmidt ist mir auch trotz des letzten Briefes rätselhaft geblieben. Sie |2| sagen: „meine Bemerkung über P. W. Schmidt bezieht sich natürlich, als an Sie gerichtet, auf die Akademiewahlen“. Ich verstehe diese Worte nicht. Was hat also P. Schmidt geschrieben u. wo?
In diesem Jahre haben wir in der Akademie zwei wirkliche Mitglieder zu wählen. Meine Freunde wünschen Prof. Wessely (als Papyrusforscher u. man könnte sagen: Begründer derselben)7 u. zweitens den Geografen Oberhummer8 zu wälen, womit auch ich übereinstimme. Wie verhalten Sie sich zu dieser Sache? Einen Geografen brauchen wir wirklich notwendig in der Akademie. Was aber Professor Wessely betrifft, so bin ich auch der Überzeugung, daß er es sehr verdient, gewält zu werden. Gegen ihn sind aber die spezifischen Philologen in Wien, denen die ganze Papyrusforschung nicht sympathisch ist u. speziell die des Prof. Wessely, weil er auch koptische Papyrús edidiert [sic] hat u. so der Klassicität abtrünnig geworden sei.
Mit den herzlichsten Grüßen u. Wünschen
Ihr
L Reinisch
1 Reinisch, Die sprachliche Stellung des Nuba, Wien: Hölder, 1911 (Akademie der Wissenschaften Wien / Kommission zur Erforschung von Illiteraten Sprachen Aussereuropäischer Völker: Schriften der Sprachenkommission; 3) .
2 Hermann Junker (1877-1962), deutsch-österr. Afrikanist u. Ägyptologe in Wien, kathol. Priester.
3 Meist „Tura“; am Ostufer des Nils zwischen dem südlichen Stadtrand von Kairo und Helwan gelegener Ort.
4 Schuchardt, „Sachen und Wörter“, Anthropos 7, 1912, 827-839.
5 Vatroslav Ignaz Jagič (1838-1923), österr.-kroatischer Slavist; ab 1886 Prof. in Wien (em. 1908); vgl. HSA 05015-05045.
6 David Heinrich von Müller (1846-1912), österreichischer Orientalist, Semitist, Sprach- und Literaturwissenschaftler; vgl. HSA 07560-07566.
7 Carl Wessely (1860-1931), Klass. Philologe, Papyrologe u. Leiter der Papyrussammlung der K. u. K. Hofbibliothek; vgl. HSA 12770.
8 Eugen Oberhummer (1859-1944), deutsch-österr. Geograph; vgl. HSA 08371.