Leo Reinisch an Hugo Schuchardt (58-09248)

von Leo Reinisch

an Hugo Schuchardt

Wien

26. 02. 1912

language Deutsch

Schlagwörter: language Schilluklanguage Nilotische Sprachen Wien Reinisch, Leo (1874) Reinisch, Leo (1909)

Zitiervorschlag: Leo Reinisch an Hugo Schuchardt (58-09248). Wien, 26. 02. 1912. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2021). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.8875, abgerufen am 28. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.8875.


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Wien, 26.2.1912

Lieber Freund,

Ich wüßte wirklich nicht, was Sie in meinem Barea-Wörterbuch1 Gescheites gefunden haben könnten. Dieses Wörterbuch, das erste meines Lebens, ist ja verfehlt, enthält zu viele Wörter, die nicht zu einander gehören; die Vergleichungen halte ich der Mehrzahl nach für übereilt u. unrichtig.

Zum Beispiel bei Westerm. S. 28:2yā gōce wun I was struck by you ist das gōc-e wol nicht in gōc-a [y]i wun aufzulösen. Das Subjekt steht im Schilluk stets vor dem Verb; was nach dem Verb steht, ist ein von diesem abhängiges Wort. Das -e in gōc-e entspricht dem e des Dinka, ist eine Präposition und nur durch den Ton mit gōc zusammengefallen (cf. Mitterrutz. Dinka S. 57).3 Im Schilluk wird beim Passiv dieses e häufig noch durch nachfolgendes ye, yi verstärkt, vgl. Westerm. pg. 51 §2: a wor-e yi jal was sent by man u. viele solche Stellen. – Es gereicht meiner Auffassung bezüglich der Intonation zur Beruhigung u. Genugtuung, daß Sie ebenfalls dieser keine sprachgeschichtliche Bedeutung zuschreiben.

Die weibliche Genusbezeichnung im Massai ist nach meiner Auffassung wol eṅ (vom dentalen u. Labialen zu n u. m vereinfacht), hervorgegangen aus dem Demonstrativ, das ist in den kuschitischen u. nilotischen Sprachen teils aus ng, teils aus gn zusammengezogen (vgl. mein: Das persönl. Fürwort §. 60, S. 554). Ich hatte hier die weibl. Genusbezeichnung eṅ hervorgegangen aus egn für gen, zusammengehörig mit der Pluralform gun-a; s. die sprachl. Stellung des Nuber §. 157.5

|2| Ich danke für die Titel zum Suk6 u. Kavirondo7; ich habe die Bücher bestellt. Ueber Kavirondo besitze ich bereits eine kleine Schrift,8 kann sie aber nicht finden, weil meine Marie die Bücher in meiner Abwesenheit alle schön u. fein abgestaubt u. derart verstellt hat, daß ich jetzt nichts finde, bevor ich nicht eine Generalrevision durchgeführt habe.

Nun jetzt herzlichen Gruß von

Ihrem
Leo Reinisch


1 Die Barea-Sprache, Grammatik, Text und Wörterbuch. Bearb. von Leo Reinisch. Nach den handschriftlichen Materialien von Werner Munzinger Pascha, Wien: Braunmüller, 1874.

2 Westermann, Wörterbuch der Ewe-Sprache, Berlin: Reimer, 1906, 2 Bde .

3 Johann Chrysostomos Mitterrutzner, Die Dinka-Sprache in Central-Afrika. Kurze Grammatik, Text und Wörterbuch, Brixen: A. Weger, 1866 .

4 Reinisch, Das persönliche Fürwort und die Verbalflexion in den chamito-semitischen Sprachen, Wien: in Komm. bei A. Hölder (Kais. Akad. d. Wiss. Schriften der Sprachenkommission Bd. 1, 1908).

5 Reinisch, Die sprachliche Stellung des Nuba, Wien 1911 (Akademie der Wissenschaften Wien / Kommission zur Erforschung von Illiteraten Sprachen Aussereuropäischer Völker: Schriften der Sprachenkommission; 3) .

6 Suk, Suq = Basar.

7 „Kavirondo is the general name of two distinct groups of ethnic groups, the Bantu speakers and the Nilotic speakers“ (wikipedia).

8 Vermutlich M. Wakefield, Vocabulary of the Kavirondo Language, London: Soc. for Pronot. Christ. Knowledge, 1887 .

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 09248)