Leo Reinisch an Hugo Schuchardt (55-09245)
von Leo Reinisch
an Hugo Schuchardt
22. 01. 1912
Deutsch
Schlagwörter: Hölder Verlag Schilluk Wien Graz
Zitiervorschlag: Leo Reinisch an Hugo Schuchardt (55-09245). Wien, 22. 01. 1912. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2021). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.8872, abgerufen am 08. 09. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.8872.
Wien, 22.1.1912
Lieber wenn gleich boshafter Freund,
Kann ich etwas dafür, daß das Hotel Wieseler,1 wie Sie mir mitteilen, meine Ankunft oder Abreise anzeigt? Ich verließ den Steirerhof am Jakominiplatz,2 weil mir ein Freund berichtet hat, daß meine Anwesenheit in diesem Hotel in der Zeitung gestanden habe. Bin ich ein Graf? So möchte ich mit dem Bauernjungen fragen, den ein Städter darüber tadelte, daß er die Kirschen samt den Kernen schluckte. Ihre Mitteilung betrachte ich aber mehr als einen Tadel, daß ich in Graz keine Besuche mache. Das letztere kann ich nicht in Abrede stellen. Aber außer Ihnen kenne ich derzeit in Graz fast keinen Freund und was Sie betrifft, so möchte ich Sie wol sehr gerne sehen, aber Sie ins Hotel zu bestellen, hielte ich für eine unverzeihliche Frechheit von mir u. Sie in Ihrer Wohnung zu besuchen geht schwer an, weil die Zeit dazu zu kurz ist, denn die Fuchsgasse3 ist ja doch so abgelegen, daß die Füchse einander gute Nacht sagen. Und gienge ich dann doch dahin, dann sagt mir die Portierin, der Herr Hofrat ist nicht zu Hause.
|2| Auf Ihren Rat, nach Brioni zu sehen,4 muß ich gleichfalls fragen: bin ich ein Graf? oder bin ich ein Millionär? Da weder das eine noch das andere Eigenschaftswort auf mich anwendbar ist, so liegt es doch auf der Hand, daß ich nicht an Brioni denken, geschweige dahin gehen kann.
Der Titel des Büchleins von Dr. Westermann lautet so: A short grammar of the Shilluk language. Philadelphia, Pa. Presbyterian church. In Germany: D. Reimer, Berlin. Ich habe bei Hölder5 ein Exemplar seinerzeit bestellt, um es nach Lul6 an P. Banholzer (Missionar)7 zu schicken u. dieses wurde mir mit 3 Kr. 60 berechnet; ich bin neugierig, was Sie zahlen werden. W.‘s Hausasprache ist eigentlich ein Schmarren, sehr gut aber neben Ewe die Fulsprache.8
Ich bin heute schon wieder ausgegangen, und das wünsche ich auch Ihnen. Wenn kein Wind geht, so haben Sie es auf der Fuchshöhe ja sehr schön zum Spazieren u. da werden Sie bald finden, daß der „Brummschädel“ nur eine Fantasie ist.
Nun recht herzlichen Gruß von Ihrem
L. Reinisch
1 Gem. ist wohl das Grazer Hotel Wiesler, mitten in der Altstadt gelegen.
2 https://austria-forum.org/af/Wissenssammlungen/Damals_in_der_Steiermark/Steirerhof
3 Recte: Fuxgasse, benannt nach dem Komponisten Johann Joseph Fux (um 1660-1741). Reinisch schreibt fast ausschließlich an die „Fuchsgasse“ und nutzt den Namen zu gelegentlichen Wortspielen.
4 Man würde „gehen“ erwarten.
5 Buchhandlung von Alfred Hölder in Wien. Hölder stammte ursprünglich aus Wimpfen am Neckar und machte in Wien „Karriere“ als Verleger ( k. u. k. Hoflieferant, Kommerzialrat, Nobilitierung (Ritteer von Hölder).
6 Siedlung (Dorf) der Schilluk am westlichen Nilufer, eineinhalb Bootsstunden nördlich von Malakal gelegen (Südsudan).
7 Pater Wilhelm Banholzer (1873-1914), FSC [Fratres Scholarum Christianorum], Missionar in Schilluk, aus Rottweil stammend, aus seiner Feder stammen Come vestono e come s'adornano gli Scilluk, Nigrizia 1904 (sonst keine weiteren Publikationen nachweisbar).
8 Westermann, Die Sprache der Haussa in Zentralafrika, Berlin: Reimer, 1901 (Deutsche Kolonialsprachen; 3) ; Grammatik der Ewe-Sprache, Berlin: Reimer, 1907; Handbuch der Ful-Sprache. Wörterbuch, Grammatik, Übungen und Texte, Berlin: Reimer, 1909 .