Leo Reinisch an Hugo Schuchardt (46-09235)
von Leo Reinisch
an Hugo Schuchardt
05. 10. 1910
Deutsch
Schlagwörter: Schilluk Deutsch Hommel, Fritz Wien Graz
Zitiervorschlag: Leo Reinisch an Hugo Schuchardt (46-09235). Sankt Stefan ob Stainz, 05. 10. 1910. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2021). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.8863, abgerufen am 03. 10. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.8863.
Reinischhof 5.10.1910
Sehr lieber Freund,
Ich danke herzlichst für Ihre zwei letzten Karten. Ich freue mich daß nach dem Inhalt der letzten vom 3/10 Ihr Befinden sich günstig gestaltet. Es sind wol die bisherigen schlechten Witterungsverhältnisse daran Schuld daß Ihre Nerven darunter so zu leiden hatten. Nun scheint der Himmel doch endlich zu besserer Laune zu kommen und hoffe u. wünsche ich es von ganzem Herzen daß Ihre Nerven sich beruhigen werden.
Es tut mir recht leid, daß Sie meinen schlechten Witz über Ihr Verhalten zu meinem Nuberbuch1 ernst genommen haben; es war meine Bemerkung Ausgeburt eines momentanen dummen Einfalls, legen Sie also dieselbe ruhig bei Seite u. die Karte in den Ofen.2
Einen rechten Ärger habe ich mit der leichtsinnigen Arbeit des Missionars P. Banholzer3 über die Schilluksprache. Es ist ja begreiflich, daß ich jede Arbeit über eine neue Sprache in Afrika mit Interesse aufneme u. studiere, insbesondere ist mir das Schilluk wegen seiner nahen Berührung mit dem Dinka sehr wichtig; aber meine Geduld hat auch Grenzen u. Banholzer schreibt mir „ich verstehe u. spreche das Schilluk wie das Deutsche“. Aber seine Arbeit ist so liederlich nach jeder Richtung, daß ich |2| die Schrift, übermüdet u. geärgert fortwerfe u. dann doch wieder vornneme, um vielleicht doch wieder über gewisse Fragen ins Reine zu kommen. Ich habe ihm die Arbeit im vorigen Jahr zur Überarbeitung zurückgestellt, er hat sie wieder gearbeitet u. diese neue Arbeit ist flüchtiger u. unvollständiger fast als die erste. Daß doch diese Missionäre, die eigentlich nichts zu tun haben, so wenig Sinn u. Verständnis für wissenschaftliche Arbeiten haben! Besonders die katholischen. Zu Abessinien sagte mir einst Bischof Touvier4 auf mein Ansinnen, er möge seine Missionäre anregen, sprachliche Aufnamen zu machen, folgendes: wir haben das Wort Gottes zu verkündigen u. können nicht mit Allotria unsere Zeit vergeuden.
Also Hommels5 Besuch haben Sie zu vermelden. Persönlich stehen wir zusammen nicht schlecht, aber sonst habe ich wenig Freude an seinen Phantastereien. Unter 100 Einfällen kann man 10 erwägen u. nachspüren, das andere geht mir über die Hutschnur.
Dieser Tage gehe ich nach Wien. Ich zeige Ihnen die Ankunft in Graz nicht an, um Sie nicht zu veranlassen, von der Fuchsgasse [sic] bis zum Bahnhof zu reisen.
|3| Sollte ich ½ Tag in Graz verweilen, dann besuche ich Sie ja in Ihrem Heim, so daß Sie in Ihrer Ordnung nicht gestört sind.
Mit den herzlichsten Wünschen u. Grüßen
IhrL Reinisch
1 Reinisch, Die sprachliche Stellung des Nuba, Wien 1911 (Akademie der Wissenschaften Wien / Kommission zur Erforschung von Illiteraten Sprachen Aussereuropäischer Völker: Schriften der Sprachenkommission; 3) .
2 Es handelt sich um HSA 09234.
3 Pater Wilhelm Banholzer (1873-1914), FSC [Fratres Scholarum Christianorum], Missionar in Schilluk, aus Rottweil stammend; aus seiner Feder stammt Come vestono e come s'adornano gli Scilluk, Nigrizia 1904 (sonst keine weiteren Publikationen nachweisbar).
4 Jean Marcel Touvier (1825-1888), erst Missionar, später Bischof in Äthiopien.
5 Fritz Hommel (1854-1936), deutscher Orientalist; vgl. HSA 04846-04850. – Er ist u. a. der Autor von Die semitischen Völker und Sprachen als erster Versuch einer Encyclopädie der semitischen Sprach- und Alterthums-Wissenschaft, Leipzig: Schulze, 1883 (Allgemeine Einleitung. Die Bedeutung der Semiten für die Kulturgeschichte; Bd. 1: Die vorsemitischen Kulturen in Aegypten und Babylonien) .