Leo Reinisch an Hugo Schuchardt (36-09226)

von Leo Reinisch

an Hugo Schuchardt

Wien

08. 12. 1909

language Deutsch

Schlagwörter: Universität Graz Villa Malwine Wien Graz Österreich Ägypten [o. A.] (1910)

Zitiervorschlag: Leo Reinisch an Hugo Schuchardt (36-09226). Wien, 08. 12. 1909. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2021). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.8853, abgerufen am 08. 09. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.8853.


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Wien, 8.12.1909

Lieber Freund,

Sie waren also glücklicher als ich u. konnten die Wochen in Brioni sich stärken, wärend ich im Frühjahr von dem Hotel den Bescheid erhielt, daß für mich dort kein [Text: sei] Platz zu haben sei. Fast lese ich in Ihrem Schreiben einen Vorwurf gegen mich, daß ich so plötzlich aus Graz ausgerissen sei. Das geschah aus zwei Gründen, die nur ein günstiges Licht auf meine Seele werfen können. Ich bekam erstens einen heftigen Schnupfen und Fieber u. es wäre für mich ein leichtes gewesen, eine hinlängliche Anzahl der Philologensippe1 anzustecken – vom wissenschaftlichen Standpunkt aus sicher eine gute Tat, aber dagegen sprach mein Humanitätsgefühl u. dieses trug den Sieg davon. Zweitens bestellten Sie mich am Morgen, als ich Sie bei der Universität traf, für den Nachmittag in Ihre Villa, ich kam gegen Abend u. Ihre Pflegerin eröffnete mir, Sie seien den ganzen Nachmittag nicht erschienen, – Sie können sich meine |2| Gemütsdepression darüber ja gar nicht genug klar machen u. nun spotten Sie noch, daß Sie deßhalb d. i. wegen meiner Abreise vier Wochen Kummer auf Brioni2 herumgetragen hätten. Ja wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Nun da Sie sich so leicht über Unangenehmes hinwegsetzen, so folge ich Ihrem Beispiel u. betrachte die Vergangenheit für vergangen u. will von der Zukunft reden. Ja kenne ich diese denn? Das tut nichts zur Sache, reden kann man auch, wenn man nichts weiß u. so machen es ja alle Leute. Sie bieten eine Ophirfahrt3 an, bei der ich beteiligt wäre. Sie haben irgendwo Glocken gehört u. dieser Klang erzeugte Traumgebilde, große Unternemungen u. Taten Österreichs! Parturiunt montes.4 Ja, etwas ganz kleines kommt doch heraus u. ein klein wenig habe auch ich meine Hand im Spiel, wenn ich auch sonst nicht weiter mittue. Österreich wird auch in Egypten zu graben beginnen u. schon im Jänner u. Februar k. J.5 dort einsetzen. Leiter der Ausgrabung ist der im Herbst zum a. o. Professor der Egyptologie in Wien ernannte Prof. H. Junker.6|3| Für 2-3 Monate sind ihm c. 17000 Kronen ausgesetzt, die in kommenden Jahren noch erhöht werden können durch Beiträge reicher Mäzenate, zu denen ich wol mit guten Gründen auch Sie mitzälen darf. In der Festsetzung Ihrer Beiträge zu diesem wichtigen Unternemen will ich Ihrer Entschließung nicht vorgreifen.

Was nun die Bände des verflossenen Amerikanischen Kongresses betrifft,7 so habe ich davon noch nichts gesehen, obwohl ich dem O.-Komitee angehört u. auch die meine Taschen leerenden Beiträge geliefert habe. In der nächsten Sitzung des Anthrop.-Ausschusses werde ich darob interpellieren. u. Ihnen dann gewissenhaft darüber berichten, eventuell die Bände senden lassen.

Nun wünsche ich Ihnen guten Appetit zum großen Schwein, das Sie zu Weihnachten in Ihrer Villa schlachten werden u. zeichne mit den herzlichsten Grüßen

IhrL. Reinisch


1 Vgl. Verhandlungen der fünfzigsten Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner in Graz vom 28. Sept. bis 1. Okt. 1909, Leipzig 1910 – also einige der Teilnehmer!

2 Schuchardt hielt sich im Oktober / November 1909 in Brioni und Pola auf.

3 Sagenhaftes Goldland.

4 „Parturiunt montes, nascetur ridiculus mus“ (die Berge kreißen, und nur eine kleine Maus wird geboren).

5 „kommenden Jahres“.

6 Hermann Junker (1877-1972), kathol. Priester, deutsch-österr. Ägyptologe, leitete im Winter 1909/10 die erste offizielle österreichische Grabung in dem kleinen Ort Tura in der Nähe von Kairo aus, wo reiche prähistorische Funde gemacht wurden. (Nicht zu verwechseln mit Heinrich Junker, 1889-1970, deutscher Orientalist, 1912-1919 Privatdozent in Gießen).

7 Es handelte sich um den 16. Kongress dieser Art; vgl. Franz Heger, International Congress of Americanists 16, Wien: Bureau d. Internationalen Amerikanistenkongresse,1908. Vgl. Festschrift, herausgegeben anlässlich der Tagung des XVI. Internationalen Amerikanisten-Kongresses in Wien, 9. - 14. September 1908, Wien 1908 .

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