Leo Reinisch an Hugo Schuchardt (31-09221)
von Leo Reinisch
an Hugo Schuchardt
27. 04. 1909
Deutsch
Schlagwörter: Anthropos Schmidt, Wilhelm Wessely, Carl Gomperz, Theodor Wien Graz [o. A.] (1910)
Zitiervorschlag: Leo Reinisch an Hugo Schuchardt (31-09221). Wien, 27. 04. 1909. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2021). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.8848, abgerufen am 28. 09. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.8848.
LEO REINISCH.
Wien, 27.4.1909
VIII/2, Feldgasse 3
Lieber Freund,
Gestern Abend nach vierwöchentlicher Abwesenheit wieder hieher zurückgekehrt finde ich ein Schreiben u. Karte von Euer Liebden hier vor u. beeile mich Ihnen dafür zu danken. Zugleich finde ich die Einladung zu dem im September zu Graz tagenden Philologentag hier vor1 u. bin hoch erstaunt, daß weder unter den Einberufenden noch unter den Präsidierenden Ihr Name irgend zu finden ist. Haben Sie sich denn gänzlich von der Welt zurückgezogen?
Wenn nach Graz Gelehrte geladen werden, so können doch Sie dabei nicht außer Spiel bleiben. Unter den Grazer Gelehrten sind doch Sie wol der bedeutendste u. ich bin objektiv u. will Ihnen damit nicht etwa schmeicheln, was durchaus nicht in meiner Natur liegt. Wirkt hier noch immer die Differenz mit M.2 nach? Das wäre bedauerlich.
Daß die Afrikaner ihre Flüsse an der Mündung entspringen lassen sollen, das glaube wer will, ich nicht. Die alten Aegypter ließen den Nil aus zwei Quelllöchern in Aethiopien entspringen u. wendeten beim Gebet ihr Antlitz nach Süden u. wegen dieser Gebetsstellung war für sie Libyen rechts vom Nil und die arabische Seite links. |2| Sie werden wol zu den Akademiewalen nach Wien kommen. Wir haben wie Sie wissen vier ordentliche Mitglieder zu wählen. Ich bitte um Ihre Stimme für zwei Kandidaten von mir: 1) Prof. Dr W. Schmidt,3 Herausgeber des Anthropos. Ich brauche ihn für die sprachwissenschaftliche Kommission allzunotwendig. Wegen seiner wissenschaftlichen Bedeutung brauche ich Ihnen gegenüber wol nicht roth zu werden.
2) Prof. Dr Karl Wessely,4 der Papyrusforscher. Die klassischen Philologen sind außer Gomperz5 gegen ihn, weil er einst eine Differenz mit W. v. Huetl6 hatte, doch halte ich (u. das ist nicht mein Urteil allein) Wessely für den ersten Papyrologen.
Für heute diese wenigen Zeilen; ich habe einen Berg von Korrespondenzen zu erledigen.
Mit den herzlichsten Grüßen
Ihr
L Reinisch
1 Vgl. Verhandlungen der fünfzigsten Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner in Graz vom 28. Sept. bis 1. Okt. 1909, Leipzig 1910.
2 Rudolf Meringer (1859-1931), österr. Sprachwissenschaftler; vgl. Schwägerl-Melchior, Verena (2017). „Die Korrespondenz zwischen Rudolf Meringer und Hugo Schuchardt“. In Bernhard Hurch (Hg.) (2007-). Hugo Schuchardt Archiv. Webedition verfügbar unter: https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.2169.
3 Wilhelm Schmidt (1868-1954), Priester, Missionar und Sprachwissenschaftler, Begründer der Wiener Schule der Kulturkreislehre sowie 1906 am Missionshaus St. Gabriel der Zeitschrift Anthropos.
4 Carl / Karl Wessely (1860-1931), Klass. Philologe; vgl. HSA 12770.
5 Theodor Gomperz (1832-1912), österr. Klass. Philologe; vgl. HSA 03871-03874.
6 Gem. ist wohl W. Hüttl?