Leo Reinisch an Hugo Schuchardt (23-09213)
von Leo Reinisch
an Hugo Schuchardt
16. 09. 1908
Deutsch
Schlagwörter: Wiener Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes Müller, David Heinrich von Schroeder, Leopold von Wien Graz Schuchardt, Hugo (1908) Schuchardt, Hugo (1908)
Zitiervorschlag: Leo Reinisch an Hugo Schuchardt (23-09213). Sankt Stefan ob Stainz, 16. 09. 1908. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2021). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.8840, abgerufen am 26. 09. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.8840.
Reinischhof 16.9.08
Lieber Freund,
Ich bestätige dankend Ihr w. Schreiben v. 13. das mir nach meiner Rückkehr aus Wien eingehändigt worden ist. Ich war in Wien beim Kongreß1 u. daß mein Name nicht in der Zeitung stand, ändert nichts an der Tatsache. Da ich mich an Banketten u. Ausflügen nicht beteiligt habe, ist es wol natürlich, daß ich den referierenden Journalisten nicht zu Gesicht gekommen bin. Charencey2 war leider nicht in Wien. Ich würde Sie in Graz besucht haben wenn ich nicht bei direktem Anschluß der Bahnen gefahren wäre.
Es ist mir angenehm zu hören, daß Sie Ihre Arbeit sogleich in der WZKM unterbringen können;3 was Ihnen aber Müller wegen Kürzung schreibt, so nemen Sie doch das nicht wörtlich; es ist ganz gleichgiltig, ob das Heft um einige Seiten stärker wird. Als ich Redakteur war, habe ich darauf nur in vereinzelten Ausnamsfällen geachtet, wenn unnützes Blech verabgabt wurde. Nach dem Zollstab kann man wissenschaftliche Arbeiten nicht zuschneiden. Schicken Sie die Arbeit nur in dem Ihnen gutdünkenden Ausmaß ein, Müller ist nicht Redakteur, sondern Schröder,4 und der ist kein Pedant.
|2|Die Bemerkungen Müllers bezüglich seiner Evangelienstudien5 nemen Sie nicht besonders tragisch! Wer kann heut zu Tage, wie etwa vor zwei Jahrhunderten alle gelehrten Publikazionen (auch nur dem Titel nach) verfolgen! Man muß froh sein, die Leistungen auf eigenem Gebiet bewältigen zu können, freilich, Müller hat unter uns gesagt die Meinung, daß seine Arbeiten welche ja gewiß sehr gut sind, von jedem Gelehrten gelesen werden sollten. Uebrigens darf ich mich in dieser Hinsicht nicht abfällig über M. äußern, da ich ja selbst die Schwachheit habe, vorauszusetzen, daß mein letztes Buch von Ihnen systematisch gelesen werden solle, auch ich muß also reuig u. zerknirscht ob meiner Eitelkeit an die Brust schlagen u. rufen: mea culpa, mea maxima culpa! Ideo praecor te, ora pro me!6
Nun zeichnet mit den herzlichen Grüßen
u. Wünschen
Ihr
L Reinisch
1 Es handelte sich um den 16. Kongress dieser Art; vgl. Franz Heger, International Congress of Americanists 16, Wien: Bureau d. Internationalen Amerikanistenkongresse,1908. Vgl. Festschrift, herausgegeben anlässlich der Tagung des XVI. Internationalen Amerikanisten-Kongresses in Wien, 9. - 14. September 1908, Wien 1908 .
2 Hyacinthe de Charencey (1832-1916), franz. Sprachwissenschaftler u. Politiker; vgl. HSA 01611-01612.
3 Schuchardt, „Berberische Studien I. Ein alter Plural auf -u̯?“, Wiener Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes 22, 1908, 245-264; „Berberiche Studien II. Zu den arabischen Lehnwörtern“, ebd. 351-384.
4 Leopold von Schroeder (1851-1920), deutsch-baltischer. Orientalist, seit 1899 in Wien; vgl. HSA 10205-10239.
5 David Heinrich von Müller (1846-1912), österreichischer Orientalist, Semitist, Sprach- und Literaturwissenschaftler; vgl. HSA 07560-07566. – Hier dürften seine Biblischen Studien (1894-1908, 4 Bde.) gemeint sein.
6 Worte aus dem „Confiteor“.