Leo Reinisch an Hugo Schuchardt (22-09212)

von Leo Reinisch

an Hugo Schuchardt

Unbekannt

30. 08. 1908

language Deutsch

Schlagwörter: Romanische Studienlanguage Baskischlanguage Nubische Sprachenlanguage Schilluklanguage Berberischlanguage Semitische Sprachenlanguage Ägyptisch Wien Schuchardt, Hugo (1913) Reinisch, Leo (1909)

Zitiervorschlag: Leo Reinisch an Hugo Schuchardt (22-09212). Unbekannt, 30. 08. 1908. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2021). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.8839, abgerufen am 29. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.8839.


|1|

30.8.08

Lieber Freund,

Karte u. Brief vom 27. sind mir zugegangen u. ich danke dafür bestens.

Gegen die Aufname Ihrer profezeiten Arbeit „Baskisch und Hamitisch“ in die Schriften der Sprachenkommission statt in die Sitzungsberichte besteht selbstverständlich kein Anstand,1 da ich voraussetze daß diese Schrift mehr als 10 Druckbogen füllen dürfte, also einen Band ausmachen wird. In Aussicht für die Publikazionen der Sprachenkommission sind mir gestellt: 1) Grammatik, Texte u. Wörterbuch der Schilluksprache vom Bischof Geier in Chartum,2 2) Wörterbuch der Tigraysprache von J. Schreiber.3 Die Manuscripte dafür sind noch nicht eingetroffen. Ob Sie sich zu den Orientalisten rechnen oder nicht, das bleibt sich mal gleich. Die Kommission, an deren Spitze ich derzeit zu stehen die Ehre habe, anerkennt die Idiome auch anderer Völker als die der orientalischen als Sprachen.

Ich habe in meinem letzten Brief vergessen, auf eine Äußerung Ihrerseits betreff der nahen Verwandtschaft des Berberischen mit dem Semitischen zu reagieren. |2| Die nächste Beziehung im Baue weist das Berberische wol auf mit dem Niderkuschitischen (vgl. Fürwort S. 187 u. a.);4 die s- und t- Praefixe sind ja auch hier vorhanden, so im Hadiya,5 Saho,5 Ufur,6 das s-Präfix im Verb auch im Aegyptischen. Der nahe Zusammenhang des Berberischen mit dem Semitischen ist allerdings nicht in Abrede zu stellen u. diesen Umstand gab mir schon viel zu denken. Merkwürdig ist folgende Tatsache: die grammatischen Formen in den Pyramidentexten stehen vielfach dem Semitischen näher, als die oberägyptischen Texte. Die Aegypter des Unterägyptens standen sonach schon in den ältesten Zeiten in Beziehung mit Semiten, desgleichen wie nun die Ausgrabungen in Abusir7 deutlich zeigen, mit dem Lybier u. Aegypter des Unterlandes, Semiten u. Lybier standen also in nahem Verkehr in den ersten Epoochen der Pharaonenzeit; daraus erklärt sich wol auch der nahe Zusammenhang in den Sprachen. – Eine nebensächliche Frage: Hanoteau (wenn ich nicht irre) bringt die Mάξvss des Herodot mit den Imvšuig zusammen. Sollte mit Mάξvss nicht eher berberisch meksa Hirt identisch sein? –

Schade daß Sie die mir genannte Absicht, den A.-Kongreß7 mit der interessanten Schrift zu begrüßen nicht ausgeführt haben. Wenn ich nach Wien zum Kongreß gehen sollte, was |3| nicht unwarscheinlich ist, werde ich wenn Anlaß dazu sein sollte, Sie jedenfalls entschuldigen u. Ihren Gruß bestellen.

Noch eine Bemerkung: Die Kürzung der Pluralendung -an, -in, -un zu - a, -i, -u ist Ihnen jetzt zweifelhaft; ich denke, wenn Sie Muße gefunden haben würden, mein Buch zu lesen, wird Ihnen der Zweifel behoben sein.

Nun recht herzliche Grüße u. Wünsche von

Ihrem
L. Reinisch


1 Gem. ist vermutlich Schuchardt, „Baskisch-hamitische Wortvergleichungen“, Revista Internacional de Estudios Vascos / Revue International des Études Basques 7, 1913, 289-340. Dort heißt es zu Anfang: „Vor langen Jahren hatte ich mir die Aufgabe gestellt die ver¬wandtschaftlichen Beziehungen des Baskischen gründlich zu unter¬suchen. Dem wirklichen Abschluss der nicht nur begonnenen, sondern auch recht weit geführten Arbeit stellten sich immer wieder Hemmungen entgegen, und nicht nur rein persönliche. Manches Erwartete blieb aus, so das romanisch- baskische Wörterbuch Azkues, nachdem 1905/6 die beiden Bände seines baskisch-romanischen in rascher Folge erschienen waren. Manches Unerwartete tauchte auf das neue Anforderungen stellte. Ich verengerte die Grenzen meines Planes; ich gab im vorigen Jahre eine Probe des Geplanten (Nubisch und Baskisch, hier G, 267 ff.); nun aber, da diese gewisse Miss¬verständnisse erzeugt zu haben scheint und da anderseits Gefahr im Verzug ist, halte ich es für das beste meinen Zettelkasten ganz umzustülpen“.

2 Franz Xaver Geyer (1859-1943), deutscher Herkunft, Bischof in Kartum; kein Nachweis für ein derartiges Sammelwerk.

3 Dictionnaire de la langue Tigraï. [1. H-N] / Par P. S. Coulbeaux ; J. Schreiber, Wien: Hölder, 1915 [Schriften der] Sprachenkommission // Kaiserliche Akademie der Wissenschaft in Wien ; Bd. 6.

4 Reinisch, Das persönliche Fürwort und die Verbalflexion in den chamito-semitischen Sprachen, Wien 1909 (Akademie der Wissenschaften Wien / Kommission zur Erforschung von Illiteraten Sprachen Aussereuropäischer Völker: Schriften der Sprachenkommission; 1).

5 Hadiyya (Hadiyyisa), eine hochlandostkuschitische Sprache.

5 Sprache, die im südlichen Eritrea und im äthiopisch-eritreischen Grenzgebiet gesprochen wird.

6 Vermutlich Fur, Sprache des Volkes der Fur in Darfur im westlichen Teil Sudans.

7 Ein Dorf und arhäologische Fundstätte in Ägypten (أبو صير).

7 16. Amerikanistenkongreß.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 09212)