Leo Reinisch an Hugo Schuchardt (17-09207)
von Leo Reinisch
an Hugo Schuchardt
09. 07. 1908
Deutsch
Schlagwörter: Flexion / Wortformenbildung Semitische Sprachen Graz Wolf, Michaela (1993)
Zitiervorschlag: Leo Reinisch an Hugo Schuchardt (17-09207). Sankt Stefan ob Stainz, 09. 07. 1908. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2021). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.8834, abgerufen am 11. 12. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.8834.
Montsalvage, im gemeinen Volksmund Reinischhof genannt
1 9.7.08
Erenwerter freund und bundesgenoße,
Ich danke Ihnen für die beruhigenden Worte, die Sie betreffs Ihrer bevorstehenden Uebersiedlung in das neue Heim geäußert u. daß damit keinerlei Gefahr für Ihr Leben verknüpft sei. Ich möchte Ihnen gerne den Stein senden, der mir in Folge Ihrer Versicherung vom Herzen gefallen ist, er ist aber so zentnerschwer, daß seine Beförderung durch die Post mir zu viele Kosten verursachen würde; wenn Sie aber dieselben zu tragen sich verpflichten, dann könnte er einen passenden Eckstein ihrer Villa abgeben. Der Baumeister im Bunde mit den Hygienikern von Graz werden ja mit Ihren Ideen der Neuzeit es verstehen, daß man ein neugebautes Haus ohne weiteres beziehen kann. In alten Zeiten war so etwas allerdings gefährlich. Sie haben ja auch unseren Freund Exminister &c. Bentzmeier (??) gekannt. Er erzählte mir einst, daß er seinem siechen Körper dem verdanke, daß er in Graz eine Wohnung in einem neugebauten Hause bezogen habe. Seine Frau konnte deshalb ihr Bett durch sechzehn Jahre nicht verlassen bis zu Ihrem Tod.
Bezüglich Ihrer Besorgnis ob meiner vermuteten Auffassung einer fishing for inventation2 können Sie noch weit mehr beruhigt sein, als wegen der Gefährlichkeit Ihres Wohnungswechsels. Auf diesen Gedanken leitete Sie offenbar nur meine Taktlosigkeit, daß ich Ihnen aus Anlaß Ihrer brieflichen Äußerung den Semmering empfahl3 u. zugleich die Gründe nannte, warum ich Sie nicht bitten konnte, mich zu besuchen. Ich hätte daran wol denken |2| können, daß Sie meine Worte so auslegen durften. Ich kann Ihnen aber die Versicherung geben, daß ich Ihre Äußerung so aufgefaßt habe, wie Sie es in der Tat gemeint haben. Aber auch heute kann ich nur wiederholen, daß ich mir nichts angenehmeres wünschen könnte, als Sie einige Wochen bei mir zu haben, aber wegen der schlechten Verbindung mit Ligist u. Stainz Niemanden [sic] zumuten kann, zu mir zu kommen. Man bekommt hier so selten das gewünschte Stück Fleisch u. zum Fasten darf ich doch keine Einladung ergehen lassen. Ich hatte ja früher Kollegen bei mir auf Besuch; aber die Erfahrung daß ich öfter zu meinem Ärger u. zur Beschämung sie nur mangelhaft bewirten konnte, hat mich so weit gebracht, keine weitere Einladung mehr zu wagen. Was soll z. b. die Köchin nur tun, wenn ihr der Bote aus Ligist oder Stainz ein verdorbenes Fleisch bringt? Tagtäglich Hühner vorsetzen wird ja auch widerwärtig u. fade.
Nun zu etwas anderem. Ob im Schaui4 die Form inū statt inuÿ lautet, darüber kann ich hier in Ermangelung aller Behelfe nichts erwidern, sagen wir also, Sie haben ganz recht u. ich kann ja wol leicht Formen verwechselt haben, darob macht meine Katze keinen Buckel; was hülfe es mir, wenn ich mir deshalb die noch wenigen Haare ausraufen täte! Wegen der semitischen Pluralendung -āt, -ōt habe ich beim Plural des Nomens im semitischen Abschnitt wie ich glaube ausreichenden Aufschluß gegeben.
Bezüglich des verbum substantivum muß ich nur sagen, ich rede von den flektierenden chamito-semitischen |3| Sprachen, in denen die Flexion gerade durch das v. subst. in Verbindung mit dem Fürwort zu stande gekommen ist. Daß in der Urzeit die Leute etwa „ich-Mann-schwarz“ gesagt haben, das will ich nicht bestreiten, aber von der Urzeit handle ich ja gar nicht. Was aber speziell das v. subst. anlangt, so existiert dasselbe ja bereits in den isolierenden Sprachen des Sudan. Aber ich frage Sie nur, wofür halten Sie denn in den chamito-semitischen Sprachen das Verb κωn u. seine Varianten? Seine primitive Bedeutung „sein“ ist später daraus hervorgegangen.
Zum Schluß empfehle ich Ihnen nochmals: gehen Sie auf einige Zeit auf den Semmering, Sie werden sich dort erholen u. paßt es Ihnen dort nicht, so sind Sie ja in zwei Stunden wieder in Graz.
Mit den herzlichsten Grüßen u. Wünschen
Ihr
LReinisch
1 Wolf, Nachlaß, gibt für den Reinischhof als Ort stets St. Stefan ob Stainz an. – Der Montsalvage ist in der Arthuslegende der Ort des Heiligen Graal.
2 Gem. „invitation“!
4 Vgl. Adam Graf Sierakowski, Das Schaūï, ein Beitrag zur Berberischen Sprachen- und Völkerkunde, Dresden: Kraszewski, 1871.