Leo Reinisch an Hugo Schuchardt (11-09201)

von Leo Reinisch

an Hugo Schuchardt

Wien

12. 01. 1908

language Deutsch

Schlagwörter: Suffix/Suffigierunglanguage Semitische Sprachenlanguage Arabisch Hommel, Fritz Trombetti, Alfredo Wien Graz

Zitiervorschlag: Leo Reinisch an Hugo Schuchardt (11-09201). Wien, 12. 01. 1908. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2021). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.8828, abgerufen am 11. 12. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.8828.


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LEO REINISCH. Wien, 12.1.08
VIII/2, Feldgasse 3

Lieber Freund,

Ich beantworte Ihre letzte Frage zuerst: ich kam 6. Jänner mit dem Mittagszug nach Graz u. fur ½ 5 mittelst Eilzug nach Wien weiter. Die Paar Stunden in Graz verblieb ich in der Restauration u. dann im Kafehaus Hotel Daniel. Ich wollte Sie brieflich vorher nicht verständigen, um nicht Ihr Nachmittagsschläfchen zu stören.

Sie haben ganz recht daß ich in der Correctur wenig genau bin, häufig recht flüchtig u. meine Bücher erfreuen sich reichlicher Böcke, lapsus calami &c. Bil. Gram.1 pg. 130,5: der Wolf nun über die Rede Freude habend, welche zu ihm gesprochen der Schakal. baḥ.yō sich freuend, b. yó-l-ū sich freuend über ihn d. i. gābā das Wort.

132,1. girgā nāqá-n-nā = l-nā gebt uns einen Tag!

132,3. Man gibt nicht wörtlich: sie geben nicht, in wegweisender Geberde gegen den Gegner, daher im Sinne: wir geben nicht …

In érg-inuḫ,hínb-inuḫ &c. ursprünglich in der Schreibung zufolge für: erg-ine-ḫu &c. ist ine die Kürzung aus grus.erg-ana-kŭ, daher i kein euphonisches Schwa. Diese Ihre Bemerkung macht mich aber auf eine Unterlassungssünde aufmerksam: perf. 3. pl. wās-ne-ḫū, gesprochen wās-nṵḫ hat vor dem Pronomen nur keinen Radikal, bei vorangehenden zwei Konsonanten bleibt also vom präsentischen -ana- im praes. regelrecht -ine-.

Die Dreiteilung des absoluten Pronomens in Übereinstimmung mit dem flektierenden Verbum erweist sich mir auf dem ganzen Gebiet der hamito-semitischen Sprachen. Für meine Aufgabe halte ich es nun, nach den uns erhaltenen Schrifturkunden die bestehenden Formen zu erklären. Wie der Urvater mit seinem Urweib u. den Kindern geredet hat, |2| darnach frage ich nicht oder mit andern Worten: was den drei Bestandteilen des Pronomens voranging, diese Frage lasse ich außer Betracht. Daß zb. Arab. qatal-a nur 2 Bestandteile hat, ist richtig, aber das semitische Tschaha zeigt noch gegenwärtig: bān-a-ḫū er war, das Aymakal zb. īn-ō d. i. īn-a-ū, -ḫū usw. Das Arabische hat im masc. den 3. Bestandteil aber abgeworfen, wie das Aramäische sogar auch das auslautende a.

Was nun das eigentliche Fürwort anlangt: a ich, ta du, nu sie -, so werden sie später in meinem Buche lesen, daß vor dieser Periode, wie aus bestimmten Vorkommnissen zu schließen ist, ursprünglich als einziges Fürwort das demonstrative ta bestanden haben dürfte u. daß das a der 1. Person durch Verschleifung aus ta entstanden sei. Chomme ça richa2 ist recht ursprünglich gedacht u. ausgedrückt. Aber ich treibe nicht Sprachphilosophie (die muß ich Denkern überlassen), sondern bin Diener in der Sprachanatomie. Suffix-āwī ist nicht etwa aus Abessinien gekommen, sondern im ganzen Sprachgebiet des Afrosemitischen (??) zu Hause, natürlich in mancherlei Kürzungen.

Any. tw-y „meiner Wesenheit od. Person etc.“ ist philologisch ja ganz gerechtfertigt, tw ist ein Infinitiv u. „y“ das pron. pers. 1. sing. bei allen unsern in Rede stehenden Sprachen. Daß unser Begriff sein, Wesen ein abstrakter |3| ist, ist ja ganz wahr u. der Urmensch hat solche Begriffe sicher nicht besessen, aber wir haben mehr minder doch nur späte Erzeugnisse vor uns, aus der Zeit der Literatur möchte ich sagen.

Zum Schluß eine Bitte: reden Sie mir nicht von Hommel3 u. Trombetti4 - der gütige Gott erhalte diese gesund aber ich lese ihre Sachen nicht mehr.

Nun recht herzliche Grüße von mir – ziehen Sie nicht zu bald in Ihr umgebautes Haus, damit sie nicht kontrakt4 werden, denn ich wünsche Ihnen ja langes Leben u. Gesundheit
Ihr LReinisch


1 Reinisch, Die Bilin-Sprache in Nordost-Afrika (mit einer Uebersichts-Tabelle), Wien, 1882 (Akademie der Wissenschaften Wien. Philosophisch-Historische Klasse: Sitzungsberichte 99,10).

2 Das klingt zwar „romanisch“, ist aber keiner Sprache zuzuordnen.

3 Fritz Hommel (1854-1936), deutscher Orientalist; vgl. HSA 04846-04850.

4 Alfredo Trombetti (1866-1929), ital. Semitist, vgl. HSA 11782-11841.

4 Latinismus „lahm, eingeschränkt“.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 09201)