Leo Reinisch an Hugo Schuchardt (06-09196)

von Leo Reinisch

an Hugo Schuchardt

Wien

17. 06. 1907

language Deutsch

Zitiervorschlag: Leo Reinisch an Hugo Schuchardt (06-09196). Wien, 17. 06. 1907. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2021). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.8823, abgerufen am 28. 11. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.8823.


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[Korrespondenz-Karte. WIEN 65, 17.VI.07]

|2|Verehrter herr kollege,

Besten dank für die iberische deklination1 die mir heute zugegangen ist und den gestern erhaltenen brief. Ich hätte nicht gedacht daß Sie im stande wären, jemandem wie z. b. herrn Philipon mit lächelnder miene eine Marsyas schindung zu applizieren.2 – Das von Ihnen behandelte tema hat mir heute den Kopf recht warm gemacht, gerade weil es mich interessiert, dabei aber leider meine baskischen kenntnisse doch mangelhaft sind. Diese kenntnisse sind aber unbedingt nötig, um daraus schlüsse auf das Iberische zu ziehen. Interessant sind die genetiv-suffixe deren radix auf den chamito-semitischen stamm κωn (sein) zu füren scheint, weil auch im chamitischen, wie ich in meiner schrift hoffentlich erweisen kann daß der genetivexponent aus einem verbum mit der bedeutung sein entstanden ist.

Sie fragen wie im kabyl. meṣeḥ das m für n zu erklären sei; – wie anders als durch übergang von n zu m? vgl. Kafaspr. §. 27.3

Entschuldigen Sie meine aufdringliche abratung vom häuser-kauf. Sie riskieren ja bei einer solchen behausung als einsidler weiter nicht mer, als gelegentlich erschlagen zu werden.4

Mit den herzlichsten grüßen

L R.


1 Schuchardt, „Die iberische Deklination“, Sitzungsberichte der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Wien. Philosophisch-Historische Klasse 157, 1907, 1-90.

2 Schuchardt äußert sich zu E. Philipon, „La déclinaison dans l’onomatique de l’Ibérie“, Mélanges H. d’Arbois de Jubainville wie folgt: „Ist auch diese Arbeit an sich wertlos, so wäre es doch möglich, daß sie nicht wirkungslos bliebe; mit dem zugrunde gelegten Stoffe sind die meisten nicht vertraut, seine unkritische Behandlung wird durch einen Anstrich von Wissenschaftlichkeit verdeckt, und die Ergebnisse passen in manches System hinein, vielleicht auch in das des gefeierten Forschers“ usw. – Zu Marsyas, der Apollon herausforderte, deshalb an einem Baum aufgehängt und bei lebendigem Leib gehäutet wurde vgl. z. B. Herodot, 7,26.

3 Reinisch, Die Kafa-Sprache in Nordost-Afrika, Wien 1888 (Akademie der Wissenschaften Wien. Philosophisch-Historische Klasse: Sitzungsberichte 116, 2).

4 Schuchardt ließ sich aber vom Bau der Villa Malvina, die er 1908 bezog, nicht abbringen.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 09196)