Leo Reinisch an Hugo Schuchardt (05-09195)

von Leo Reinisch

an Hugo Schuchardt

Wien

13. 06. 1907

language Deutsch

Schlagwörter: Sitzungsberichte Wien Schuchardt, Hugo (1907)

Zitiervorschlag: Leo Reinisch an Hugo Schuchardt (05-09195). Wien, 13. 06. 1907. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2021). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.8822, abgerufen am 14. 09. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.8822.


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Wien 13.6.07

Verehrter herr kollege,

Wenn Sie nicht sonst dringende verwendung für Ihre abhandlung haben, so möchte ich mir wol ein exemplar erbitten, da ich von artikeln die mich interessieren, gerne separata besitze.1

Zu Ihrer frage erlaube ich mir die antwort, dass ich gerade aus fysiologischen gründen dem n vor m einen früheren ursprung zuschreibe, da dentale zu denen doch n gehört, leichter zu bilden sind, als die andern konsonanten-gruppen. Aber von diesem gesichtspunkte abgesehen, worüber sich ja auch streiten lässt, habe ich bei sprachvergleichenden studien immer nur gefunden, dass m aus n entsteht und m nur dann zu n wird in der stellung vor t-lauten u. a. Bed. midaba habe ich wegen § 7 u. 70 aus Tigré nesāl,2 im Ge‘éz lesān3 abgeleitet. Beide sind komposita aus nes-āl und les-ān (zu -āl, -ān vgl. Somalispr. § 116 pag. 34).4 Das Grundwort les (gehört ja zum verb Amhar. lās-a, Ge’éz laḥas-a, Arab. id. lecken) ist in dieser gekürzten Form vorhanden in Aeg. 4 u. ns, Kopt. λac, λεc zunge, bei ausfall des h-lautes.

Ich bin etwas erstaunt über Ihre ansicht, wenn ich Sie recht verstehe, dass gewisse worte z. b. zunge, mit einem konsonanten beginnen, der speziell für dieses wort zu erwarten ist; oder wie habe ich Ihre meinung zu verstehen? Etwa so: im chamito-semitischen füren die bezeichnungen für zunge auf |2| eine radix die mit einem dental anlautet? Aber auch diese these träfe nicht zu, denn z.b. im Somali und verwandten idiomen heisst die zunge arrab.

Kabyl. mešeḥ (lecken) fürt wol auch (m aus n) zunächt auf nešeḥ = kopt. λεκη, λoκη lambere, per metath. Arab. &c لعق G. 5. Hieher gehört wol auch Berb. i-les zunge, wie Aeg. ns, Koptl λαc aus lhs.

Mit herzlichen grüssen und wünschen für Sie
(darunter: dass Sie sich kein haus kaufen, um sich vielen ärger zu ersparen).
Ihr L. Reinisch


1 Vermutlich Schuchardt, „Die iberische Deklination“, Sitzungsberichte der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Wien. Philosophisch-Historische Klasse 157,1907, 1-90. – Dies ist der einzige umfangreiche wiss. Beitrag Schuchardts aus diesem Zeitraum, aber hätte denn Reinisch als Akademiemitglied die Sitzungsberichte nicht insgesamt erhalten?

2 Im Original ein ā mit Accent aigu (im Zeichensatz nicht vorhanden).

3 Im Original ein ā mit Accent aigu (im Zeichensatz nicht vorhanden).

4 Reinisch, Die Somali-Sprache, Wien: Hölder, 1900 (Südarbische Expedition, 1).

4 Es folgen koptische Schriftzeichen - siehe gescanntes Original

5 Es folgen koptische Schriftzeichen - siehe gescanntes Original

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 09195)