Leo Reinisch an Hugo Schuchardt (02-09192)
von Leo Reinisch
an Hugo Schuchardt
14. 03. 1903
Deutsch
Schlagwörter: Kaiserliche Akademie der Wissenschaften (Wien) Anthropologische Gesellschaft in Wien Arabisch Rost, Reinhold Andrian-Werburg, Ferdinand Leopold von Jagič, Vatroslav Ignaz Müller, David Heinrich von Schweinfurth, Georg Wien Luxor Graz
Zitiervorschlag: Leo Reinisch an Hugo Schuchardt (02-09192). Wien, 14. 03. 1903. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2021). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.8819, abgerufen am 28. 09. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.8819.
Wien 14/3/1903
Lieber College u. Freund
Ich danke Ihnen herzlichst für Ihr freundliches Schreiben aus Assuan.1 Warum sollte ich auf der Medaille nicht finster blicken, wenn ich in diesem Nebelloch, Wien genannt, sitzen u. robotten soll, während vom Schicksal so begünstigte Männer wie Sie im sonnigen Assuan arabisch radebrechen dürfen? Mein Grimm richtet sich also gegen das Schicksal (was aber dem Schicksal ganz gleichgültig ist), nicht gegen seine Günstlinge, zu denen ich Sie mit Rost2zähle u so komme ich also Ihrem Gedenken mit freundlicher Miene u. Gesinnung entgegen, bevor Andrian3 zum c.4 Mitglied der Akademie vorgeschlagen; d. h. den Vorschlag müssen wol Sie motivirt der Akademie einsenden u. ich werde schon Mitglieder zur Unterschrift veranlassen. |2| Warum aber wollen Sie dieses Jahr nicht zu den Wahlen persönlich kommen? Über den Anfang Mai bleiben Sie ja nicht in Egypten u. so können Sie ganz leicht Ende Mai in Wien eintreffen. Was nun L. Andrian betrifft, so hat bereits Prof. Schröder 5an mehrere von uns die Anfrage gestellt, ob wir nicht L. A. vorschlagen sollten. Um die ethnographische-anthropol. Gesellschaft in Wien hat er ja seine grossen Verdienste u. was er geschrieben hat, ist ja auch ganz gut, wenn auch nicht extravagant ausgezeichnet. Prof. Jagic,6Müller7u. ich haben Schröder’s Gedanken gebilligt, einige waren weniger günstig, u. zwar aus der Ursache, weil sie befürchteten, daß wenn etwa A. eine Arbeit der Akademie einreichen würde, dieselbe aufgenommen werden müßte, weil über Arbeiten von c. Mitgliedern nicht referirt, sondern dieselben ohne Prüfung (nach den Statuten) aufgenommen werden müßten. |3| Ich teile diese Bedenken gerade nicht, weil A. kaum mehr viel schreiben wird u. wenn er schreiben sollte, darum seine Arbeit ja nicht absolut schlecht sein muß. Seine letzte Publication in den Schriften der anthrop. Gesellschaft in Wien war ja recht interessant.8 Summa: ich bin mit Ihrem Vorschlag einverstanden.
Haben Sie Schweinfurth9 getroffen? Er schrieb mir, daß er nach Luxor gehe. – In Assuan hätten Sie noch Gelegenheit, Nubische Aufzeichnungen zu machen.
Mit den herzlichsten Grüßen u. dem Wunsche,
Sie im Mai in Wien zu sehen zeichnet
Ihr
Leo Reinisch
Meine Somali-Grammatik ist so eben im Drucke fertig10 – soll ich dieselbe nach Graz schicken oder kann ich sie Ihnen in Wien einhändigen?
1 Schuchardt reiste im Februar-April 1903 nach Ägypten.
2 Reinhold Rost (1822-1896), deutsch-engl. Orientalist und Bibliothekar; vgl. HSA 09772-09797.
3 Ferdinand Leopold von Andrian-Werburg (1835-1914), österr. Geologe u. Anthropologe; vgl. HSA 00108-00117.
4 Correspondierenden / korrespondierenden.
5 Leopold von Schroeder (1831-1920), deutsch-baltischer Orientalist.
6 Vatroslav Ignaz Jagič (1838-1923), österr.-kroatischer Slavist, seit 1886 in Wien; vgl. HSA 05015-05054.
7 David Heinrich (von) Müller (1846-1912), österr. Semitist; vgl. HSA 07560-07566.
8 Andrian-Werburg, „Virchow als Anthropologe“, Mitt. d. Anthropol. Ges. in Wien XXXIII, 1903.
9 Georg Schweinfurth (1836-1925), russisch-baltendeutscher Afrikaforscher; vgl. HSA 10440-10451.
10 Reinisch, Die Somali-Sprache, Wien: Hölder, 1903.