Emil Metzger an Hugo Schuchardt (11-07132)
von Emil Metzger
an Hugo Schuchardt
30. 06. 1882
Deutsch
Schlagwörter: Das Ausland Französisch
Englisch
Maduresisch (ISO 639-3: mad)
Malaiisch
Javanisch
Chinesische Sprachen
Armenisch
Arabisch
Niederländisch
Deutsch Burnell, Arthur Ratzel, Friedrich Hahn, Johannes Theophilus Indien Java Larchey, Lorédan (1881–1889)
Zitiervorschlag: Emil Metzger an Hugo Schuchardt (11-07132). Stuttgart, 30. 06. 1882. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2020). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.8800, abgerufen am 30. 09. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.8800.
Stuttgart, Kriegsbergstrasse 29II.
Stuttgart 30e. Juni 1882.
Sehr geehrter Herr!
Meinen herzlichen Dank für Ihre freundlichen Zeilen vom 18e und die darin enthaltenen Mittheilungen über Gaunersprachen die schon viel weiter reichen als meine Arbeit – wenn ich sie noch mache – sich je versteigen wird. Es handelt sich nämlich e. g1 durchaus nicht um eine wissenschaftliche Abhandlung an die ich mich, wegen mangelnder Vorstudien schon, nicht wagen könnte, sondern gelegentlich um ein einfaches Feuilleton worin dann etwa die Analogie zwischen Indien und Europa zu erwähnen wäre Ihre gütige Erlaubniß, Ihnen darüber eine formulirte Frage vorzulegen benützend erlaube ich mir dieselbe in nachstehender Form zu stellen:
1) In welchen europ. Sprachen sind Ihnen Gauner- (darunter auch die zum Scherz oder um geheimes Wissen zu verbergen zu begreifen) sprachen mit Sicherheit bekannt?
2) Kommen in denselben überall folgende Arten vor
a. durch in der gewöhnl. Sprache unbekannte Wörter
b. durch metaphorischen Gebrauch
c. durch Entstellung mit den verschiedenen Abarten
So kenne ich zb. c. im Französischen nicht obwohl ich moralisch überzeugt bin, daß sie vorkommt.
|2|Wenn Sie mir diese Fragen gelegentlich ganz kurz beantworten würden, würden Sie mir einen großen Gefallen thun; ein „ja“ und „nein“ würde vollkommen genügen. –
Wenn Herr Burnell2 sagt daß man ihm im Jahre 1876 zu Batavia mitgetheilt hat, daß ein Dialect den er da gehört hat ein portugieseischer sei so kann ich da nur entgegnen daß ich die Umstände unter denen er den Dialect gehört und man ihm die Mittheilung gemacht hat kennen müßte um eine Erklärung zu finden zb. ist er etwas schwerhörig? in welcher Sprache hat er die Mittheilung empfangen? war sein Berichterstatter des engl. resp. er selbst des holländischen vollkommen mächtig? Letzteres ist ein Punkt den Reisende nie genug im Auge behalten können, denn ich habe selbst die Erfahrung gemacht daß eine unvollkommen verstandene Frage sehr leicht mit „ja“ beantwortet wird. Im Englischen endigen alle Adject. zur Bezeichnung der auf Java ausschließlich gesprochenen Sprachen (mit Ausnahme der Sundan language) in ese, Madurese Javanese language hat er nun zufällig so etwas gehört und Portuguese verstanden? Hat er nach letzterem Dialect gefragt und sein Berichterstatter verkehrt gehört? Selbst die Namen portugees’sche Christen, port. Kerk die man vor zwanzig Jahren noch häufig hörte verschwinden immer mehr. Natürlich wird nie der Beweis zu führen sein, daß nicht irgendwo im Schoß einiger Familien sich |3| ein Dialect erhalten hat der dem Portug näher steht als das gewöhnl. Batav. Mal und deshalb rieth ich Ihnen auch früher an Herrn Levysohn Normann3 zu schreiben der, wenn irgend jemand im Stande ist dies zu erfahren; jedenfalls wäre das aber nur ein secundärer Dialect der sich dem Publicum ganz entzieht und nur in der Familie gesprochen (gesungen) wird. Ehe ich diese Ansicht näher begründe muß ich noch eben auf das eingehen was über eine zu Batavia 1693 gedruckte Bibel4 mitgetheilt ist, u. viell. daß hierin meiner Ansicht nach doch unmöglich ein Beweis gesucht werden kann daß jetzt noch zu Batavia ein dem Portug. verwandter Dialect gesprochen wird; daß die Portugiesen namentl. nach der Eroberung von Malakka zahlreich in den holländ Kolonien vertreten waren ist ja sicher und daß die Herrn XVII5 für deren Seelenheil sorgten bei dem frommen Sinn der Niederländer erklärlich ergibt sich ja auch schon aus der Kirchenordnung (letztere beinahe Coincidirend mit der Eroberung von Malakka wäre vielleicht ein noch stärkeres Argument) endlich bezweifelt ja Niemand daß Portugiesen zu Batavia gelebt haben, ihre Nachkommen noch da leben – nur die Sprache ist, (im täglichen Leben ganz sicher) vollkommen verschwunden und nach meiner Erfahrung möchte ich (wiewohl ich eben schon berührte wie schwierig eine solche Behauptung ist) sagen, daß sie ganz und gar verschwunden ist.
Ich fange mit meiner persönl. Erfahrung an. Ich bin zwei mal (1859 und 1864) genöthigt gewesen in der eigent-|4|lichen alten Stadt Batavia wo die Chinesen, portugiesischen Christen usw leben zu verkehren, das erste mal in rein persönlichen Interessen die mich vielfach in das Innere der Häuser führten und ich erinnere mich nie etwas anderes als gewöhnliches Malaisch gehört zu haben; das zweite Mal war ich mit einem eingeborenen Beamten committirt um die auf der Rhede von Batavia liegenden Inseln aufzunehmen, die Besitz Rechte der Bevölkerung zu untersuchen usw. Wir konnten kein Schiff bekommen, um aber unsere Tagegelder zu sichern untersuchten wir flottweg6 und zwar monatelang einzeln u zusammen in der Stadt Batavia d.h. wir erkundigten uns bei allen denen welche je mit den Bewohnern der Inseln in Berührung gekommen waren nach allen möglichen Sachen. Nie ist mir da etwas anderes als gewöhnl. Malaisch begegnet. Ich habe dieser Tage meine sehr sorgfältigen Notizen über jene Zeit genau nachgesehen, kann aus denselben mit Sicherheit den Verkehr mit portugies. Christen nachweisen, finde aber keine Bemerkung über deren Sprache während ich zb wohl Bemerkungen und Seufzer über die Schwierigkeit finde mich mit einzelnen Chinesen zu verständigen.
Weitere Argumente sind: in keinem der bedeutenden Werk[e] wird nur mit einem Worte der portug Dialect erwähnt; weder Crawfurd7 noch Raffles8 noch Roorda van Eysinga9 noch Veth10 sagen etwas darüber – Ferner: Nach dem Reg. almanac 188211 Kap 99 sind zu Batavia: Tolken en translateurs12
voor de Maleische taal, v. d. Javaansche taal, FranscheEngelsche en Hoogduitsche talen, Chinesche Taal, Armenische taal, Arabische taal.
|5|also keiner für Portug. (und zwar ist keiner für diese Sprache in ganz Niederl Indien angestellt) Auch ich hoffe noch auf Levysohn,13 wenn er auf die Sache eingegangen ist, hat er bis jetzt kaum antworten können; meiner Ansicht nach ist nur Erfolg zu erwarten wenn sich ein mächtiger Arm wie der seinige für die Sache interessirt. Die Statistiek ist eine traurige Geschichte. Immerhin wenn Sie einen Versuch machen wollen könnten Sie Sich an den Minister der Kolonien wenden, riskiren aber daß die Sache schließlich durch Gott weiß welchen Unterbeamten im Instanzenwege erledigt wird Auch könnten Sie vielleicht im „Ausland“ eine Frage über diesen Punkt an die Leser richten Prof Ratzel (München Akademiestr. 5)14 hat eine Rubr. für solche Fragen geöffnet nur würde ich bitten ihm event. anzudeuten daß ich Ihnen meine Ansicht bereits mitgetheilt habe denn sonst schickt er mir wahrscheinl. Ihre Anfrage zur Erledigung.
Herzlichen Dank für die Nummer der Cape Times die ich heute zurückschicke. Die Mittheilung war mir höchst interessant da ich vorher nur holländische Berichte, denen ich nicht ganz vertraute, darüber gelesen hatte.
Herr Dr Hahn15 ist dann doch wirklich klassisch und wenn er alle die engl Adject als Synonyme von beautiful auffaßt sehr incorrect; merkwürdigerweise laßt sich jedes der Adject. zieml genau durch ein besonderes Wort |6| im Holländischen ausdrücken
Dagegen hat er ganz übersehen daß Deutsch und Holländisch viel freier im Gebrauch des Adjectivs sind als Englisch und in der letztgenannten Sprache die Wahl des Adject. in den meisten Fällen durch das Substantiv bestimmt wird Man kann kaum sagen a beautiful man, a lovely man und Dr Hahn verdiente vielleicht a pretty man genannt zu werden. Seine Beweisführung kommt mir übrigens ungefähr vor als ob ich einem Franzosen sagen wollte: wir sagen schwarzes Fohlen schwarze Stute, .Hengst, Wallach, Reitpferd, Wagenpferd, Karrenpferd, Rappe usw und Sie: moreau.
Im Ausland No 25 hat ihm übrigens ein Herr D r Büttner (?) wegen seines Buchs16 welches M. Muller in der XIXth Century besprochen hat,17 ziemlich stark die Wahrheit gesagt.
Von Francisque. Michel erschien neulich ein höchst interessantes Buch: A Critical inquiry into the Scottish language with the view of Illustrating the Rise and Progress of Civilisation in Scotland. William Blackwood and Sons.18
Zu den Büchertiteln über Gaunersprachen die Sie so freundlich waren mitzutheilen füge ich noch hinzu:
Slang dictionary Chatto & Windus 1874 (2e Aufl)19
Tiele (Thiele?) jüdische Gauner in Deutschland 185220
Larchey dict. histor. d’Argot 9e Aufl 1881.21
Mit größter Hochachtung
Ihr aufrichtig ergebener
E Metzger
1 „exempli gratia“ (e. g.), „z. B.“.
2 Arthur Coke Burnell (1840-1882), englischer Indologe, Sprachwissenschaftler und Sanskrit-Gelehrter; vgl. HSA 01466-01468.
3 Henry David Levysohn-Norman (1836-1892), Raad van Indie (keine Korrespondenz Schuchardts mit ihm ist erhalten).
4 Es handelt sich um die von João Ferreira de Almeida [auch: d’Almeida] (1628-1691), einem geborenen Portugiesen, der zum Protestantismus übertrat und Missionar wurde, übersetze Version der Bibel, die er weitgehend alleine angefertigt hatte. Das portugiesische NT erschien bereits 1681 in Amsterdam: O Novo Testamento, Isto he Todos os Sacro Sanctos Livros e Escritos Evangelicos e Apostolicos do Novo Concerto de noßo Fiel Senhor Salvador e Redemptor Iesu Christo, Amsterdam: Someren, 1681, [4] Bl., 557 S., [1] Bl. ; 4°. Für die vollständige Ausg. konnte in öffentlichen Bibliotheken nur die London 1819 gedruckte nachgewiesen werden. Vgl. den diesbezüglichen Wikipedia-Eintrag: „Enquanto progredia a revisão do Novo Testamento, Almeida começou a traduzir o Antigo Testamento. Em 1683, ele completou a tradução do Pentateuco. Iniciou-se, então, a revisão desse texto, e a situação que havia acontecido na época da revisão do Novo Testamento, com muita demora e discussão, acabou se repetindo. Já com a saúde prejudicada-pelo menos desde 1670, segundo os registros -, Almeida teve sua carga de trabalho na congregação diminuída e pôde dedicar mais tempo à tradução. Mesmo assim, não conseguiu acabar a obra à qual havia dedicado a vida inteira. Em 1691, no mês de outubro, Almeida veio a falecer. Nessa ocasião, ele havia chegado até Ezequiel 48.21. A tradução do Antigo Testamento foi completada em 1694 por Jacobus op den Akker, pastor holandês. O texto do Antigo Testamento completo só viria a ser impresso em 1751. A Bíblia completa em um único volume só foi publicada em 1819“.
5 Möglicherweise ist die Seeschlacht 1617 in der Manila-Bay gemeint, in der die Niederländer die Spanier besiegten und ihren Einfluß in Ostasien befestigten?
6 Vermutlich ein dt. Neologismus, nach den niederl. „vlotweg“ = glatt, ohne Umstände.
7 John Crawfurd, History of the Indian archipelago containing an account of the manners, arts, languages etc. of its inhabitants, Edinburgh: Archibald Constable, 1820.
8 Thomas Stamford Raffles, The history of Java, London: Printed for Black, Parbury, and Allen, 1817.
9 Sicco Ernst Wilhelm Roorda Van Eysinga, Versamelde Stukken, s’Gravenhage: Liebers, 1889 (mehrere Bände).
10 Pieter Johannes Veth, Java. Nieuwe Geschiedenis, Haarlem: Bohn, 1882 (mehrere Auflagen und Bände).
11 Rege[e]ringsalmanak voor Nederlandsch-Indië. Eerste gedeelte. Grondgebied, bevolking en inrichting van het bestuur van Nederlandsch-Indië
12 „Dolmetscher und Übersetzer“.
13 Henry David Levysohn-Norman (1836-1892), Raad van Indie (keine Korrespondenz Schuchardts mit ihm ist erhalten).
14 Friedrich Ratzel (1844-1904), deutscher Geograph; vgl. HSA 09147-09156.
15 Gemeint ist vermutlich Johannes Theophilus Hahn (1842-1904), der, deutscher Herkunft, in Südafrika aufgewachsen war und sich mit Sprache und Ethnologie des afrikanischen Kontinents befasste.
16 Johannes Theophilus Hahn, Tsuni-Goam, the supreme being of the Khoi-Khoi, London: Trübner, 1881; die Besprechung von Missionar Carl Gotthilf Büttner (1848-1893) steht in Das Ausland 55, 1881, 491-494. Was Hahn angeht, ist ihm auf S. 492 folgendes Urteil zugedacht: „Leider muß aber hiermit erklärt werden, daß die sprachlichen Ausführungen in diesem Buche bei näherer Besichtigung gerade in den Hauptpunkten als ein großartiger Schwindel bezeichnet werden müssen, welchen der Verfasser nur in dem Bewußtsein hat wagen können, daß die Kenntnis des Hottentottischen bei den Gelehrten Europas nur eine höchst beschränkte ist, und in der Hoffnung, daß seine großsprecherischen Redensarten über diejenigen Missionare, welche fast ein Menschenalter das Studium der Hottentottensprache zu ihrer Lebensaufgabe gemacht haben, genügen würden, der europäischen Welt völlig Sand in die Augen zu streuen“. Büttner war ein ausgewiesener Sprachwissenschaftler, der das NT in die Herero-Sprache übersetzt hatte und später am Berliner Seminar für Orientalische Sprachen Swahili unterrichtete. Der einzige Brief, den er an Schuchardt richtete (HSA 01463), stammt vom 18.8.1888.
17 The Nineteenth Century 11, Jan.-June 1882, 111-124.
18 XIV, 457 S.
19 The slang-dictionary, etymological, historical, and anecdotal, London: Chatto & Windus, 1874.
20 A. F. Thiele, Die jüdischen Gauner in Deutschland, ihre Taktik, ihre Eigenthümlichkeiten und ihre Sprache, nebst ausführl. Nachr. über d. ... berüchtigsten jüdischen Gauner, Berlin: Selbstverlag, 1842-43.
21 Étienne-Lorédan Larchey, Excentricités du langage, augm. d’un suppl. mis à la hauteur des révolutions du jour, Paris: Dentu, 1881.