Emil Metzger an Hugo Schuchardt (06-07127)

von Emil Metzger

an Hugo Schuchardt

Stuttgart

09. 04. 1882

language Deutsch

Schlagwörter: language Afrikaanslanguage Niederländisch außerhalb Europaslanguage Spanisch Indien Java

Zitiervorschlag: Emil Metzger an Hugo Schuchardt (06-07127). Stuttgart, 09. 04. 1882. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2020). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.8795, abgerufen am 08. 09. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.8795.


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Stuttgart, Kriegsbergstrasse 29II.
April 9te 1882.

Sehr geehrter Herr!

Ihre Briefe vom 2n 5n und Karte vom 6n empfangen; ebenso die Beilage (mal. Zeitung).1 Da ich einige dringende Arbeiten abzumachen hatte die vor den Festtagen in die Druckerei mußten, komme ich erst heute dazu dieselben so gut wie möglich zu erledigen.

Gerne hätte ich auch noch den morgigen Tag auf die Entzifferung des Boeren-Hollandsch2 verwendet, aber heute ist schon der 8e Tag nachdem Sie Ihren Brief geschrieben und da Sie mich um baldige Erledigung ersucht haben, will ich es nicht länger anstehen lassen. –

Mit dem ersten Brief glaube ich so ziemlich fertig geworden zu sein, der zweite ist mir nicht nur theilweise ein unentwirrtes Räthsel geblieben, sondern mehrere meiner Combinationen sind mir sehr zweifelhaft. Was ich combinirt habe beruht auf dem Gehör; das Gesicht betrügt zu sehr wenn nicht nur die Orthographie sondern auch Syntax usw verdorben sind; doch kann natürlich auf diesem Wege (durch lautes Lesen) das gesprochene Wort nicht erstzt werden und man sollte den Versuch nach längeren Zwischenräumen wiederholen, um vorurtheilsfrei zu sein, und sich nicht auf eine einmal aufgefaßte Idee zu verbeißen. In dem gesprochenen Boeren Hollandsch würde ich wie ich hier bemerkt habe gar keine Schwierigkeit finden.

|2| Neubronner van der Tuuk3 ist ein sehr verdienstlicher Forscher aber auch einer der bestgehaßten, wenn ich nicht irre; das betr. Buch datirt von 18684 und wird wohl nicht sprachwissenschaftlich sein; übrigens ist es mir ganz unbekannt, da ich nur praktisch mit Sprachen zu thun gehabt habe. Ueber Sprachwissenschaft in Indien ist es für einen Laien schwer etwas zu sagen; die Herrn haben sich nach zwanzig jährigem Studiren nicht einmal einigen können ob im sundanesischen, einer der auf Java gesprochenen Hauptsprachen, eine hohe und eine niedere Sprache als ursprünglich angenommen werden müssen oder nicht.

Ihre Bemerkung über Spanier und Portugiesen ist im Allgemeinen vollkommen richtig, aber der holländische und der indische Sprachgebrauch ist dagegen. Wir sprechen in allen Geschichtsbüchern vom Kampf mit den Portugiesen und zu meiner Schande muß ich bekennen, daß als die Frage einmal an mich herantrat, ich mich erst besinnen mußte wann die wirklichen Spanier in den Archipel gekommen sind (1521). Der Eingeborene kennt soweit mir bekannt kaum den Ausdruck orang castila5 und spricht immer von orang portugees und nur in den Gegenden wo die Worte von denen ich Ihnen eine Liste geschickt habe,6 wirklich im Gebrauch sind spricht man nur von spanisch (hiernach bitte ich die Bemerkung in meinem Briefe vom 3n wo ich wenn ich mich recht erinnere von „Eingeborenen“ ohne die jetzt beigefügte Be- |3| schränkung gesprochen, richtig stellen zu wollen).

coleto = djepit gew. mal; „mit den Nägeln kneifen“ hat der Einsetzer hinzugefügt. Dies ist für djepit richtig es heißt aber auch was man im Deutschen nennt: Jemanden zwiebeln, bis auf’s Blut quälen. Gewaltthätige Handlungen mit der Hand / nicht mit der Waffe / sind unter Eingeborenen eine große Ausnahme – er kneift um zu maltraitiren, zu strafen – die javanische Mutter kneift ihr Kind, d. h. sie kneift die Hautfalte dreht sie aber gleichzeitig durch Drehung des Handgelenks um wodurch noch eine Zerrung entsteht und so läßt sich der Begriff „kneifen“ auch wohl allgemein auf „mißhandeln“ nach unsern Begriffen anwenden. –

Auch ich bin neugierig auf die Antworten die ich aus Indien bekommen werde; die meiste Hoffnung setze ich auf einen Freund in Indien der viel Verbindungen auf Poeloe Penang7 hat. Übrigens ist es gewiß kein böser Wille wenn die Beantwortung solcher Briefe nicht genügt, sondern die Leute verstehen oft nicht was man eigentlich will weshalb man immer positive, ganz bestimmt formulirte Fragen stellen sollte. Ich übersetzte Ihnen den ersten Artikel unter der Rubrick: Soerat kiriman (Eingesandt).8 – es ist ein einfaches wenig verziertes Mal. „für täglichen Gebrauch“. Absichtlich habe ich es nachdem ich es übersetzt hatte vor der Zurückübersetzung einige Tage verlaufen lassen und später Nichts corrigirt und sie nicht einmal copirt.

|4|Entschuldigen Sie die Unvollkommenheit meiner heutigen Sendung mit dem non possumus an guten Willen hat es mit gewiß nicht gefehlt.

Hochachtungsvoll grüßend

Ihr ergebener
E Metzger


1 Vgl. HSA 07126 (bei der Zeitung handelt es sich vermutlich um ein Exemplar von Bintang Barat ).

2 Afrikaans; vgl. dazu z. B. auch Schuchardts Korrespondenz mit Matthias de Vries (Doorn b. Utrecht), z. B. HSA 03-12553 u. a.

3 Herman Neubronner van der Tuuk (1824-1894), in Malakka geb. Bibelübersetzer und Sprachwissenschaftler, Spezialist für die Sprachen Niederländisch-Indiens.

4 Neubronner, Maleisch Leesboek. Uitg. Door het Koninklijk Institutt voor Taal-, Land- en Volkenkunde van Nederlandsch-Indie, s’Gravenhage: Nijhoff, 1868.

5 Wtl. „kastilische Person“, also „Spanier“.

6 Nicht erhalten.

7 Heute meist „Pulau Pinang“, Insel, gegenwärtig Bundesstaat von Malaysia in der Straße von Malakka.

8 Nicht beigefügt.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 07127)