Karl Meinhof an Hugo Schuchardt (03-06962)

von Karl Meinhof

an Hugo Schuchardt

Hamburg

19. 04. 1910

language Deutsch

Schlagwörter: language Hebräischlanguage Bantu-Sprachenlanguage Semitische Sprachenlanguage Hausa Hommel, Fritz Schuchardt, Hugo (1910) Meinhof, Carl (1899) Meinhof, Carl (1909) Meinhof, Carl (1910) Meinhof, Carl (1912) Reinisch, Leo (1873) Schuchardt, Hugo (1912)

Zitiervorschlag: Karl Meinhof an Hugo Schuchardt (03-06962). Hamburg, 19. 04. 1910. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2019). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.8787, abgerufen am 29. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.8787.


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Hamburg, Sierichstr. 127
den 19. April 1910.

Verehrtester Herr Geheimrat!

Den Abschnitt über Ndorobbo1 habe ich noch und sende ihn als Drucksache. Von allen diesen Studien hatte ich aber keine Abzüge. Sie gehen vom Bd. VII bis XI (nicht zehn), so weit sie gedruckt sind. Von Hommel,2 meinem guten Freunde und von Deeg,3 meinem anderen Kinde, erwarte ich nichts fürs Murai. Sie vergleichen Murai und Hebräisch!4 Wie |2| die Anfänger im Bantu vor 70 Jahren. Und das nun 1910!

Wenn Sie die Sachen wirklich interessieren, widerrate ich dringend diese Pfade. Dann studieren Sie bitte meinen Grundriß, der jetzt in 2. Aufl. bei D. Reimer in Berlin erscheint,5 dann die Ful-Grammatik von Westermann, 1909 bei D. Reimer. Meine Anzeige erscheint in der Zeitschr. für Assyriologie im August.6 Dann mein Heft „Die Sprachen des dunklen Weltteils“. Stuttgart. 1909. Greiner u. Pfeiffer7 „Die moderne Sprachforschung in Afrika“,8 erscheint demnächst in Berlin. Missionsbuchhandlung, Georgen- |3| kirchpl. 70. In diesem Jahr hoffe ich mein Buch zu beenden „Die Hamiten“.9 Das grammatische Geschlecht ist sicher nicht aus abessynischen Sprachen herübergenommen, sondern seine Entstehung in den Hamitensprachen hoffe ich nachgewiesen zu haben. Die „Semitensprachen“ sind nur entfernte Zweige von dem vorderasiatischen Ast der „Hamitensprachen“. Mit der Forschung von Reinisch10 kann ich mich in den großen nicht befreunden, so hoch ich seine sorgsame Einzelforschung stelle. Mit den bisherigen Methoden fangen wir hier nichts an. Nur, wenn wir phonetisch sorgsam unterscheiden, finden wir |4| unsern Weg. Für sehr wichtig halte ich das Somali und das Berberische. Auch das Hausa hat sehr interessante Züge. Ich könnte über diese Sprache ein Kolleg halten, aber brieflich kann ich das nicht erledigen, bitte verzeihen Sie mir [ein Wort überklebt] wenn ich mich auf diese Andeutungen beschränke. Bitte lassen Sie mich wissen, welche Studien Sie noch wünschen, wenn ich sie habe, werde ich sie gern senden.

Indem ich meiner Freude Ausdruck gebe, daß Sie sich für die Hamiten interessieren11 bleibe ich

In aufrichtiger Verehrung
Euer Hochwohlgeboren

ganz ergebenster
Meinhof.


1 Meinhof, Mitteilungen des Seminars für Orientalische Sprachen zu Berlin (MSOSB) 1907, III (Dritte Abt. Afrikanische Studien), 116. – Dorobo, Ndorobo, Wadorobo, Toboro ist ein abfälliger Sammelbegriff für mehrere unabhängige Jäger-Sammler-Gruppen in Kenia und Tansania.

2 Fritz Hommel (1854-1936), Semitist.

3 J. Deeg, bayer. Realschullehrer, lebte dann mehrere Jahre unter den Masai, vgl. Schuchardt, „Zu den Verben mit i- im Masai“, Wiener Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes 24,1910, 287-293, hier S. 288.

4 Angeblich eine afrikanische Sprache, vgl. Wilhelm Friedrich Hufnagel, Geschichtliche Nachweisungen, ein Ende-Urtheil über eine Thatsache zu fällen, die in der Geschichte des Menschen und seines Glaubens aller Zweifel noch nicht entbunden ist, Frankfurt 1822, 96.

5 Meinhof, Grundriß einer Lautlehre der Bantusprachen; nebst Anleitung zur Aufnahme von Bantusprachen; Anhang: Verzeichnis von Bantuwortstämmen, Berlin: Reimer, 1910.

6 Kein Nachweis.

7 Meinhof, Die Sprachen des dunklen Weltteils. Nachrichten über den Stand der linguistischen Forschungen in Afrika, Stuttgart: Greiner, 1909.

8 Meinhof, Die moderne Sprachforschung in Afrika; hamburgische Vorträge, Berlin: Buchhandlung der Berliner Ev. Missionsgesellschaft, 1910.

9 Carl Meinhof / Felix von Luschan, Die Sprachen der Hamiten; Hamitische Typen, Hamburg: Friedrichsen, 1912. – Vgl. Peter Rohrbacher, Die Geschichte des Hamiten-Mythos, Wien 2002 (Beiträge zur Afrikanistik, 71), 107-118, 142-143 u. ö. (Meinhof); 118-119 (Schuchardt).

10 Leo Reinisch, Der einheitliche Ursprung der Sprachen der alten Welt nachgewisen durch Vergleichung der afrikanisch. 1. Band, Wien: Braumüller, 1873. – Vgl. HSA B09191-09341; 09341A-09355.

11 Vgl. Schuchardt, „[Rez. von:] Meinhof, Carl: Die Sprachen der Hamiten, nebst einer Beigabe: Hamitische Typen von Felix von Luschan“, Wiener Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes 26, 1912, 407-413. Diese Besprechung ist zwar freundlich im Ton, aber letztlich ein „Verriss“, da Schuchardt Meinhof in wesentlichen Punkten widerspricht, z. B. S. 412-413: „Für mich liegt die größte [i. e. Beweiskraft] im Wortschatz. Hier steht MEINHOF im strengsten Gegensatz zu mir“, und wenig später (S. 413): „Bei MEINHOF nimmt das vergleichende Wörterverzeichnis einen sehr bescheidenen Raum, eine dunkle Ecke ein. Darunter ist nicht allzu viel Neues und manches nicht Überzeugende, ja nicht Stichhaltige“ usw. Möglich, dass diese Rez. Anlass für das „Einschlafen“ der Korrespondenz seitens Meinhofs war.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 06962)