Jakob Jud an Hugo Schuchardt (115-05229)

von Jakob Jud

an Hugo Schuchardt

Zürich

03. 02. 1926

language Deutsch

Zitiervorschlag: Jakob Jud an Hugo Schuchardt (115-05229). Zürich, 03. 02. 1926. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2019). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.8595, abgerufen am 28. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.8595.


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3. II 26

Verehrter Meister,

Zu Ihrem Geburtstage möchte ich Ihnen warme Glückwünsche darbringen; wenn auch Ihr Brief etwas mutlos klang, so wollen wir doch hoffen, dass die seelische und körperliche Krise rasch vorübergehen wird. Ihr prächtiger Lebensélan hat immer wieder über alle solche Beschwerden den Sieg davongetragen.

Herzlichen Dank schulde ich Ihnen für Ihren letzten Aufsatz: Der Individualismus in der Sprachforschung.1 Sie haben da ein Problem |2| wieder angeschnitten, das Ihnen stets am Herzen lag und über das so manche Forscher sich ausschweigen. Die seelenlose „Objektivität“ der Forschung hat einer ganzen Generation von Forschern den Gedanken verwehrt, eine Selbstprüfung vorzunehmen, die – periodisch – für den Gelehrten und für die Forschung heilsam wäre.

Wir feiern Prof Gauchats 60. Geburtstag Samstag abend mit der Überreichung eines Bandes,2 es werden da eine schöne Zahl von schweizerischen Romanisten sich einfinden, um ihm zu huldigen, der zugleich noch mit der Würde des Rektors für zwei Jahre ausgestattet worden ist.

Von Gilliéron habe ich in den letzten Tagen |3| nicht eben guten Bericht: es scheint, dass sein Magen nicht mehr recht reagiert. Sie können sich denken, dass seine Schweizer Freunde sehr um ihn besorgt sind: wir hatten ihn im letzten Herbst in seinem kürzlich gekauften eigenen Haus besucht und ihn wie immer voll Kampfeslust und neuer Ideen gefunden. Ein solches Temperament in unserer Forschung zu missen, wäre ein Gedanke, an den man sich fast nicht gewöhnen könnte.3

Darf ich Ihnen verraten, dass ich nächsten Sommer im Proseminar Ihr Brevier mit den Studenten besprechen werde? Sie sehen, Sie veralten nie, denn die Jungen sollen in Ihre Gedankenwelt wieder eingeführt werden, damit der Kontakt zwischen |4| den grossen Führern und den Epigonen nicht verloren gehe.

Also nochmals alles Gute und Liebe für das kommende Jahr!

Stets Ihr

JJud4


1 Schuchardt, Der Individualismus in der Sprachforschung; Wien u. Leipzig: Hölder-Pichler-Tempsky, 1925 (Sb. d. Wien. Ak. 204/2, 1-21).

2 Festschrift Louis Gauchat: zu seinem 60. Geburtstag als Ausdruck ihrer Dankbarkeit und Verehrung der Freunde und Schüler aus der Schweiz, Aarau: Sauerländer, 1926. – Gauchat war am 12.1. 1866 in Les Brenets geboren worden.

3 Jules Gilliéron verstarb am 26. April 1926 in Schernelz, Ligers im Alter von 71 Jahren.

4 Heinimann, 1992, Nr. 26, 38.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 05229)