Jakob Jud an Hugo Schuchardt (105-05218)

von Jakob Jud

an Hugo Schuchardt

Unbekannt

06. 06. 1922

language Deutsch

Schlagwörter: Sprach- und Sachatlas Italiens und der Südschweiz (AIS) Hugo-Schuchardt-Brevierlanguage Rätoromanische Sprachen Schuchardt, Hugo (1922) Schuchardt, Hugo (1922)

Zitiervorschlag: Jakob Jud an Hugo Schuchardt (105-05218). Unbekannt, 06. 06. 1922. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2019). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.8585, abgerufen am 18. 04. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.8585.


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Verehrter Meister!

Zunächst möchte ich Ihnen herzlichen Dank abstatten für die prächtige Arbeit: Zur Kenntnis des Baskischen, 1 die uns eine Reihe gutgewählter volkstümlich anmutender Texte bietet und uns zugleich ahnen lässt, wieviel Unbekanntes noch der Forschung vorbehalten bleibt. Denn unterdessen sind in der Tat die beiden Basken (ein Priester und ein Laie) eingetroffen: der erste wohnt allerdings in dem etwa 30 Kilometer |2| entfernten Kapuzinerkloster und ist daher für persönliche Fühlungnahme nicht leicht erreichbar: er spricht aber recht ordentlich Deutsch und kann den Vorlesungen folgen, der andere, Herr Apraiz,2 ist mit nicht genügenden Deutschkenntnissen hier eingetroffen und zwei Studenten haben sich nun gleich an die Aufgabe gemacht, ihm Deutsch beizubringen. Er macht Fortschritte und wir hoffen ihn soweit zu bringen, dass er Deutsch lesen und verstehen kann. Meiner Vorlesung über Einführung in die Methoden der Wortforschung kann wohl der Geistliche |3| folgen, nicht aber Herr A.: aber letzterer scheint mir geistig lebendiger zu sein. Wir haben unser vier (darunter Herr Hubschmied, Herr Steiger3 und Herr Gysling4) ein baskisches Kränzchen auf Freitag abend 6-7 Uhr eingerichtet, wobei wir in das Baskische durch Herrn Ap. Eingeführt werden. Allerdings wage ich nicht mit den von Ihnen angeregten Akzentstudien bei unserem Lehrer einzusetzen: 1) weil unsere Kenntnis des Baskischen noch recht primitiv ist und an Wörtern klebt 2) weil unser Lehrer, wie er sagte, erst |4| in der späteren Jugend das Baskische gelernt hat: man müsste also eigentlich wissen, welches seine ursprüngliche Artikulations- und Intonationsbasis gewesen ist. Mir scheint nach dem Baskischen zu urteilen, das ich aus dem Organ von H. A. höre, seine Sprache müsse einen ausgesprochen musikalischen Akzent haben, aber, wie gesagt, ich stehe nicht an, den Wert meines Urteils vorläufig als sehr gering anzuschlagen.

Ebenso habe ich mit herzlicher Freude Ihren Aufsatz: Heimisches und fremdes Wortgut5 gelesen, der |5| auch dem Romanisten ein Memento zuruft und ihn daran erinnert auf wie schwankendem Boden selbst so einleuchtende Gleichungen wie tegi attegia zu stehen scheinen.6

Ich habe eben nun die dritte Serie der gallischen Findlinge (es sind immer sechs Stück) abgeschlossen und hoffe sie nächste Woche der Romania einzusenden:7 es tritt noch hinzu das dru(d) Problem,8 wie das verchère-Problem,9 das seit bald drei Jahren bereit ist und nun endlich verabschiedet werden sollte. Ich muss nun wohl mich auf eine längere Karenzzeit |6| einstellen: denn nach den Sommerferien, die ich in Siena zubringen will, beginnt die systematische Prüfung aller Möglichkeiten des Druckes unseres Atlas von Ober- und Mittelitalien. Unser Explorator hat jetzt Fiume erreicht, beginnt im Juli mit dem Genuesischen und dem Piemont, wird nächsten Winter die Emilia an die Reihe nehmen, indessen wir beide, Jaberg und ich, eine Anzahl Probekarten für den Druck vorbereiten müssen. Die Einverleibung alles Sachlichen auf |7| die Sprachkarten ist das Zentralproblem und bietet uns reichliche Rätsel. Mein Freund Jaberg hat die Karte giogo vorbereitet: die sachlichem Bemerkungen zu den Jochformen und Teilen umfassen vier grosse Quartseiten (für die ersten 120 Punkte!)!10

Eine Besprechung Ihres Breviers wird in unserer N. Zürch. Zeitg durch Herrn DrAbegg hier erfolgen:11 ich will Ihnen die Nummer zusenden.

Einer meiner Studenten, ein Rätoromane, hat die Terminologie der rätischen Mühle aufgenommen, |8| und gedenkt diese Materialien zu publizieren:12 ein anderer wünscht die Kastanienverwertung an Ort und Stelle zu studieren. Wenn das baskische Sprachgebiet näher an unserer Grenze läge, so wären wir schon längst auf der Suche nach der Sache und dem Wort aufgebrochen. Die Romanen im Philologenkleide haben eine ganz ungewöhnliche Mühe, der Sache irgend ein Interesse abzugewinnen: wir werden da nur sehr geringe Ernte erwarten dürfen: Herr Griera ist eine Ausnahme.13

Hoffentlich hat Ihnen die Hitze nicht zu stark zugesetzt: ich begrüsse die Hitze mehr als die Kälte.

Herzliche Wünsche auch von meiner Frau! Ihr
JJud


1 Schuchardt, „Zur Kenntnis des Baskischen von Sara (Labourd)“, Abhandl. d. Berl. Ak. d. W. 1922, 1-39.

2 Vgl. Brief 31 (8.5.1922). - Odón de Apraiz Buesa (1896-1984), span. Baskologe; vgl. HSA 00139.

3 Arnald Steiger (1896-1963), Schweizer Romanist, bes. Hispanist.

4 Fritz Gysling (1895-1984), Schweizer Romanist und Sprachwissenschaftler.

5 Schuchardt, „Heimisches und fremdes Sprachgut“, Revista Internacional de Estudios Vascos / Revue International des Études Basques 13, 1922, 69-82.

6 Jud, „ Mots d’origine gauloise, 4e série “, Romania 53, 1926, 328-348, hier 343.

7 Jud, „ Mots d’origine gauloise, 3e série “, Romania 49. 1923, 389-416.

8 Jud, „ Zur Geschichte und Herkunft von fr. dru “, Archivum Romanicum 6, 1922, 313-339.

9 Jud, „ Zur Geschichte zweier französischer Rechtsausdrücke (corvée, verchère) “, Zeitschrift für Schweizergeschichte 2, 1922, 412-459.

10 Atlante linguistico ed etnografico dell’Italia e della Svizzera meridionale, VI Allevamento del bestiame grosso e minuto. Apicoltura. Bachicoltura. Pascolo e alpeggio. Carro, giogo e finimenti

11 Emil Abegg (1885-1962), Schweizer Indologe; vgl. HSA 00001-00008. Abegg gehört zu den Schweizer Unterstützern des Breviers.

12 Ramun Vieli. Die Terminologie der Mühle in Romanisch-Bünden , Chur: Bündner Tagblatt, 1927. Vieli (1895-1953) war ab 1926 Lehrer für Rätoromanisch (Surselvisch, Sutselvisch, Surmeirisch) an der Bündner Kantonsschule; vgl. HLS (online).

13 Antonio Griera y Gaja (1887-1974), span. Romanist und Katalanist, vgl. HSA 03971-03985.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 05218)